Grundsätzlich ist ein vergaberechtsfreies Inhouse-Geschäft auch bei der Beauftragung eines gemischt-öffentlichen Unternehmens denkbar. Der Umstand, dass verschiedene öffentliche Auftraggeber an einem Unternehmen beteiligt sind, stehe einer „Kontrolle wie über eigene Dienststellen“ im Sinne der Teckal-Rechtsprechung nicht entgegen. Allerdings führe die Beauftragung einer 100%igen Aktiengesellschaft angesichts der aktienrechtlichen Besonderheiten dazu, dass letztlich ein Inhouse-Geschäft nicht vorliege. Dies hat der EuGH in seinem Urteil „Carbotermo“ vom 11.05.2006 (Rs. C-340/04) festgestellt. In der Sache hat die Gemeinde Busto Arsizio (Italien) an eine Aktiengesellschaft, an deren Muttergesellschaft sie 99,98 % der Anteile hält, ohne ordnungsgemäßes Vergabeverfahren bestimmte Dienstleistungen vergeben. Die restlichen Anteile der Muttergesellschaft werden von einigen angrenzenden Gemeinden derselben Provinz gehalten. Die Satzung beider Gesellschaften sehen vor, dass sich auch private Staatsbürger an der jeweiligen Gesellschaft beteiligen können, allerdings nur bis zu einer Grenze von 10 % des Gesamtkapitals der jeweiligen Gesellschaft. Gleichzeitig verfügen die Verwaltungsräte der Mutter- wie auch der Tochtergesellschaft über umfassende Befugnisse zur Wahrnehmung der ordentlichen und außerordentlichen Leitung der Gesellschaft. Das nationale Gericht legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die unmittelbare Vergabe an eine Aktiengesellschaft, deren Anteile mittelbar von ausschließlich öffentlich-rechtlichen Körperschaften gehalten werden, mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei.
Zunächst wies der EuGH in seiner Entscheidung darauf hin, dass eine Rechtfertigung zur Ausnahme vom Vergaberecht immer nur dann bestehe, wenn eine Verfälschung des Wettbewerbs nicht zu befürchten sei. Werde ein Unternehmen auf dem Markt tätig und trete daher mit anderen Unternehmen in Wettbewerb, läge ein vergaberechtsfreies Inhouse-Geschäft nicht vor.
Kontrolle wie über eigene Dienststellen“ nicht bei Beauftragung einer 100%igen Aktiengesellschaft
Entscheidend für die Annahme einer „Kontrolle wie über eigene Dienststellen“ sei, ob der beauftragende öffentliche Auftraggeber sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wichtigen Entscheidungen der Gesellschaft ausschlaggebenden Einfluss nehmen könne. In diesem Zusammenhang deutet der EuGH zunächst an, dass der Umstand, dass der beauftragende öffentliche Auftraggeber allein oder zusammen mit anderen öffentlichen Stellen das gesamte Kapital einer auftragnehmenden Gesellschaft halte – ohne selbst entscheidend zu sein – für eine Kontrolle im Sinne der Teckal-Rechtsprechung spreche.
In konsequenter Fortführung seiner Entscheidungspraxis in der Rechtssache „Parking Brixen“ (hier verneinte der EuGH bei der Beauftragung einer 100%igen Aktiengesellschaft ein Inhouse-Geschäft) lehnt der EuGH im Ergebnis anhand der konkreten Umstände jedoch konkret eine entsprechende Kontrollmöglichkeit ab: Den Verwaltungsräten der Mutter- und Tochtergesellschaft komme nach deren jeweiligen Satzungen umfassende Befugnisse zur ordentlichen und außerordentlichen Leitung der Gesellschaft zu. Diese Satzungen behielten der Gemeinde als öffentlichem Auftraggeber keine Kontrollbefugnis und kein besonderes Stimmrecht vor, um die den Verwaltungsräten eingeräumten Handlungsfreiheiten zu begrenzen. Die von der Gemeinde über diese beiden Gesellschaften ausgeübte Kontrolle bestehe im Wesentlichen in dem Umfang, den das Gesellschaftsrecht der Gesellschaftermehrheit einräume, was ihre Befugnis zur Beeinflussung der Entscheidungen der Gesellschaften erheblich beschränke. Gleichzeitig betont der EuGH, dass die Gemeinde auf die Entscheidung der Tochtergesellschaft über die Muttergesellschaft lediglich einen mittelbaren Einfluss ausübe. Die Einschaltung eines solchen Mittlers könne je nach den Umständen des Einzelfalls die Kontrolle schwächen, die der öffentliche Auftraggeber allein aufgrund seiner Kapitalbeteiligung an einer Aktiengesellschaft möglicherweise über diese ausübe.
Tätigkeit im Wesentlichen für den/die öffentlichen Auftraggeber
Gleichwohl nutzte der EuGH die Gelegenheit, um auch das Kriterium der „Tätigkeit im Wesentlichen für den/die öffentlichen Auftraggeber“ zu konkretisieren. Zunächst lehnte er eine analoge Anwendung des im Rahmen der Sektorenrichtlinie für die Beauftragung eines verbundenen Unternehmens geltenden 80%-Kriteriums im Rahmen der „klassischen“ Auftragsvergabe für Lieferleistungen ab. Ausnahmen seien strikt auszulegen. Eine erweiterte Anwendung der Bestimmung über die Vergabe an verbundene Unternehmen im Sektorenbereich verböte sich daher.
Qualitative und quantitative Umstände
Vielmehr komme es jeweils auf alle qualitativen wie quantitativen Umstände des Einzelfalles an. Von Bedeutung sei, ob ein Unternehmen trotz der Kontrolle des oder der öffentlichen Auftraggeber noch einen bedeutenden Teil seiner wirtschaftlichen Tätigkeit mit anderen Wirtschaftsteilnehmern abwickeln könne. Maßgeblich sei damit, ob das Unternehmen hauptsächlich für die beauftragende Körperschaft tätig werde und jede andere Tätigkeit rein nebensächlich sei. Dabei sei der Umsatz ausschlaggebend, den das fragliche Unternehmen aufgrund der Vergabeentscheidung der kontrollierenden Körperschaft erziele. Insgesamt seien alle Tätigkeiten zu berücksichtigen, die ein Unternehmen als Auftragnehmer im Rahmen einer Vergabe durch den öffentlichen Auftraggeber verrichte. Unbeachtlich sei die Person des Begünstigten, ob die beauftragende Körperschaft oder Dritte als Nutzer der Dienstleistungen die Vergütung gegenüber dem betreffenden Unternehmen erbrächten und schließlich, in welchem Gebiet die entsprechenden Leistungen erbracht würden. Auch komme es für den Fall, dass die Anteile an einem Unternehmen von mehreren Körperschaften gehalten werden, nicht unbedingt darauf an, ob das entsprechende Unternehmen seine Tätigkeit im Wesentlichen für eine bestimmte dieser Körperschaften, nämlich die beauftragende Körperschaft, verrichte; entscheidend sei vielmehr, welche Tätigkeiten das Unternehmen insgesamt für diese Körperschaften verrichte. Bei einem Unternehmen, dessen Anteile von mehreren Körperschaften gehalten werden, sei auf diejenige Tätigkeit abzustellen, die es für alle diese Körperschaften verrichte.
Fazit
Der EuGH hat nun klargestellt, dass trotz Beteiligung mehrerer öffentlicher Auftraggeber an einem Unternehmen eine „Kontrolle“ im Sinne der Teckal-Rechtsprechung vorliegen kann. Eine derartige Interpretation wird insbesondere für Zweckverbandsvorhaben von Bedeutung sein. Auch hier wurde bislang darüber diskutiert, ob zulässigerweise ein Inhouse-Geschäft vorliegen kann, da an einem Zweckverband typischerweise mehrere Kommunen beteiligt sind. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entscheidung des EuGH wird zumindest das erste Teckal-Kriterium anzunehmen sein. Die weiteren Ausführungen des EuGH schränken dagegen nach wie vor in konsequenter Fortführung seiner strengen Rechtsprechung den Inhouse-Tatbestand ein. Erneut betont der EuGH, dass die Beauftragung einer 100%igen Aktiengesellschaft angesichts der aktienrechtlichen Besonderheiten und der entsprechenden hohen Selbständigkeit der Aktiengesellschaft nicht als Inhouse-Geschäft gewertet werden kann. Viel Spielraum bleibt Kommunen daher nicht mehr. Gleichwohl ist erfreulich, dass sich der EuGH mit dem zweiten Teckal-Kriterium auseinander gesetzt hat. Insofern hat er zweckdienliche Hinweise zur Interpretation dieses Merkmals gegeben.