Einfach mal die Notbremse ziehen
Für die meisten Unternehmer gehört es einfach zum Alltag, in Vorleistung zu gehen. Wer Produkte absetzen möchte, ist gewissermaßen stets zumindest wirtschaftlich in Vorleistung, weil er sein Lager oder Rohstoffe finanzieren muss. Erfolgreicher Vertrieb lebt daneben aber vor allem von echter Vorleistung. Der Unternehmer liefert das Produkt, der Kunde zahlt erst später. Das ist auch im B2B Bereich Standard, im B2C Bereich ist ein Unternehmer, der selbst Vorkasse verlangt, oft im Wettbewerb um Kunden der Verlierer.
So klar die Ausgangssituation ist, so unsicher sind viele, wenn die wirtschaftliche Lage ihres Kunden kippt. Noch vor der Lieferung wird absehbar, dass das Geschäft in der Kundenkrise scheitern könnte. Was aber darf der Unternehmer in dieser Situation tun?
Man denke aber auch an andere Konstellationen: Was ist zu tun, wenn man zur Vorkasse verpflichtet ist, aber merkt, dass der Vertragspartner nicht über die erforderlichen Fähigkeiten und Ressourcen verfügt, die vereinbarte Leistung zu erbringen?
Rechtlich kann § 321 BGB helfen. Dort heißt es wörtlich:
(1) Wer aus einem gegenseitigen Vertrag vorzuleisten verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung verweigern, wenn nach Abschluss des Vertrags erkennbar wird, dass sein Anspruch auf die Gegenleistung durch mangelnde Leistungsfähigkeit des anderen Teils gefährdet wird. Das Leistungsverweigerungsrecht entfällt, wenn die Gegenleistung bewirkt oder Sicherheit für sie geleistet wird.
(2) Der Vorleistungspflichtige kann eine angemessene Frist bestimmen, in welcher der andere Teil Zug um Zug gegen die Leistung nach seiner Wahl die Gegenleistung zu bewirken oder Sicherheit zu leisten hat. Nach erfolglosem Ablauf der Frist kann der Vorleistungspflichtige vom Vertrag zurücktreten. § 323 findet entsprechende Anwendung.
Das Gesetz lässt den Vorleistungspflichtigen damit also nicht rechtslos zurück. Der Vorleistungspflichtige darf vielmehr seine Leistung verweigern und sogar eine Frist zur Erfüllung der Gegenleistung stellen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind:
- Die mangelnde Leistungsfähigkeit dessen, der zur Vorleistung berechtigt ist, muss feststellbar sein. Hierunter lassen sich Fälle der Vermögensverschlechterung fassen. Aber auch jedes sonstige drohende Leistungshindernis reicht (krankheitsbedingte Ausfälle beim Unternehmer, Zusammenbrüche von Zulieferern).
- Die mangelnde Leistungsfähigkeit muss den Anspruch des Vorleistungspflichtigen gefährden. Klassischerweise ist dies gegeben, wenn der Vorleistungspflichtige vom anderen Teil Bezahlung in Geld oder die Herstellung einer Sache verlangen kann. An einer Anspruchsgefährdung fehlt es aber z. B. dann, wenn trotz der bestehenden Unsicherheiten bereits hinreichende Sicherheiten vereinbart waren.
- Die mangelnde Leistungsfähigkeit muss bei Fälligkeit der Vorleistung Sie darf auch bereits bei Vertragsabschluss vorhanden gewesen sein. Erforderlich ist in diesem Fall allerdings, dass der fragliche Umstand für den Vorleistungspflichtigen erst nach Abschluss des Vertrags erkennbar wird. Deshalb werden mit § 321 BGB nur solche anfänglichen Risiken erfasst, die der Vorleistungspflichtige auch bei der gebotenen sorgfältigen Überprüfung der Leistungsfähigkeit des Vorleistungsberechtigten nicht erkennen konnte.
Das Gesetz kann also wirksam vor einer Gefährdung eigener Ansprüche schützen. Allerdings sollte derjenige, der in Vorleistung geht, genau prüfen, ob das Gesetz für ihn auch gilt. § 321 BGB kann nämlich grundsätzlich durch abweichende vertragliche Vereinbarungen ersetzt werden. Derzeit ist allerdings nicht klar, in welchem Umfang die Rechte aus § 321 BGB durch AGB zum Nachteil des Vorleistungspflichtigen eingeschränkt werden können. Zwar ist davon auszugehen, dass eine besonders krasse Einschränkung der Unsicherheitseinrede ohne jedes Sicherungsmittel wegen unangemessener Benachteiligung (§ 307 Abs. 2 BGB) unwirksam ist. Doch sind die Grenzen bislang noch nicht gerichtlich geklärt.