Kursrutsch in der Rechtsprechung: In seiner Entscheidung vom 26.1.2017 hat der BGH die Haftungsregeln für Steuerberater von insolvenzbedrohten GmbHs deutlich verschärft und seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben (BGH, Urteil vom 26.01.2017, Az.: IX ZR 285/14). Dadurch bestehen neue Regressmöglichkeiten für D&O-Versicherer und/oder in Anspruch genommene Geschäftsführer, Vorstände oder Aufsichtsräte.
Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, die verteilbare Insolvenzmasse bestmöglich zu steigern und Haftungsansprüche geltend machen. Neben der Geschäftsführung und dem Aufsichtsrat ist der Steuerberater der insolventen Gesellschaft ein besonders attraktives Haftungssubjekt, weil für sein berufliches Fehlverhalten in der Regel eine Berufshaftpflichtversicherung einzustehen hat. De facto werden die Versicherungen der in Anspruch genommenen Organe künftig prüfen, ob und inwieweit die Versicherung des Beraters zum Regress herangezogen werden kann.
Im Jahr 2013 hatte der BGH in einer vielbeachteten Entscheidung (06.06.2013, Az.: IX ZR 204/12) die Steuerberater zunächst beruhigt: Für so genannte „reinen Erstellungsaufträgen“ von Jahresabschlüssen wurde den Steuerberatern im Grundsatz keine besondere Prüfungs- und Aufklärungspflicht bezüglich einer möglichen Insolvenzreife der Gesellschaft auferlegt. Der Steuerberater hafte für unterlassene Aufklärungen und Hinweise erst dann, wenn er hierzu einen besonderen Auftrag erhalten habe oder er erkennen lasse, dass er sich mit konkreten insolvenzrechtlichen Fragen befasst habe. Diese bisherige Rechtsprechung erlaubte es den Steuerberatern, Haftungsrisiken bei ihrer Arbeit für krisenbedrohte Gesellschaften relativ einfach zu vermeiden. Sie erstellten die Jahresabschlüsse möglichst kommentarlos und spickten ihre Berichte über die von Ihnen erstellten Abschlüsse mit formelhaften Freizeichnungsklauseln. An dieser Linie änderte sich bis 2017 nichts.
Diese Praxis hat der BGH mit seinem neuen Urteil in Frage gestellt. Er rückt von seiner Rechtsprechung aus dem Jahr 2013 ausdrücklich ab. Der Steuerberater müsse sich bei der Aufstellung von Jahresabschlüssen vergewissern, ob er Fortführungswerte zugrunde legen kann (sogenannte Going-Concern-Prämisse) oder Liquidationswerte verwenden müsse. Der Steuerberater müsse den Geschäftsführer einer GmbH auf Zweifel an der Fortführungsfähigkeit des Unternehmens hinweisen und zudem auf eine Klärung der Zukunft des Unternehmens hinwirken. Der Steuerberater darf nach dem BGH keine Bilanz unter der Annahme von Fortführungswerten aufstellen, solange ernsthafte, nicht ausgeräumte Zweifel an der Überlebensfähigkeit des Unternehmens bestehen. Derartige Zweifel können sich z.B. dadurch ergeben, dass die Bilanz der Gesellschaft ein negatives Eigenkapital ausweist.
Der BGH verneint jetzt die Haftung,wenn der Steuerberater die Geschäftsführung der GmbH über seine Zweifel und mögliche Risiken für die Gesellschaft umfassend informiert hat und der Geschäftsführer ihn gleichwohl ausdrücklich anweist, der Bilanz Fortführungswerte zugrunde zu legen. Allgemeine Hinweise des Steuerberaters reichen nicht. Er muss die konkreten Umstände ausreichend dokumentieren. Die Anweisung des Geschäftsführers muss er ausdrücklich in seinen Entwurf des Jahresabschlusses aufnehmen.
Im Endeffekt bedeutet die neue Rechtsprechung, dass der Steuerberater im Prozess darlegen und beweisen wird müssen, dass er umfassend informiert und angewiesen wurde. Dies wird nur durch eine saubere Dokumentation gelingen, wobei schon der Zugangsnachweis vor Gericht ein Risiko darstellt. Die übliche Versendung von e-Mails und Telefaxen begründet im Zweifel keinen nachgewiesenen Zugang.
Daher wird und muss sich das Verhalten von Steuerberatern einer GmbH in der Krise drastisch ändern, wollen sie ihre Haftungsrisiken minimieren. In der Vergangenheit erschien es für die Steuerberater ratsam, in Krisensituationen ihrer Mandanten mit verschlossenen Augen und Ohren lediglich „reine Erstellungsaufträge“ abzuarbeiten. Nunmehr müssen die Berater jegliche Anhaltspunkte für existenzbedrohende Krisen der Gesellschaft einschließlich hieraus folgender Risiken umfassend dokumentieren. Dies erhöht Arbeitsaufwand und Haftungsrisiko für Steuerberater von krisenbedrohten GmbHs. Es erleichtert aber gleichzeitig die Arbeit von Insolvenzverwaltern, denen die Risikohinweise der Steuerberater wertvolle Informationen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen und bekannten Risiken liefern werden. Das Urteil dürfte ein zu eins auf die Haftungs des Wirtschaftsprüfers übertragbar sein.