Nach dem Bundestag hat auch der Bundesrat dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht zugestimmt. Ziel ist die Eindämmung der negativen Auswirkungen der Corona-Krise auf Unternehmen und Privatpersonen. Das Gesetz sieht dazu weitgehende Änderungen des Gesellschafts-, Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vor.
Die Ausfertigung und Verkündung durch den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier wird in Kürze erwartet. Danach treten die dringend notwendigen Übergangsregelungen teilweise rückwirkend zum 1. März 2020 in Kraft.
Im Folgenden werden die wichtigsten Änderungen in den einzelnen Rechtsgebieten kurz vorgestellt:
1. Zivilrecht
a) Leistungsverweigerungsrecht für Verbraucher und Kleinstunternehmen
Können diese wegen der COVID-19-Pandemie ihre vertraglichen Pflichten nicht erfüllen, erhalten sie das Recht, ihre Leistung bis zum 30. Juni 2020 zu verweigern oder einzustellen.
Voraussetzung für Verbraucher ist, dass
Für Verbraucher gilt das Leistungsverweigerungsrecht u.a. auch für Leistungen der Grundversorgung wie Strom, Gas und Telekommunikation.
Kleinstunternehmen können ihre Leistungen für vor dem 8. März 2020 abgeschlossene wesentliche Dauerschuldverhältnisse bis zum 30. Juni 2020 verweigern. Voraussetzung für diese ist, dass
Kleinstunternehmen sind Unternehmen, bei denen weniger als 10 Personen beschäftigt sind und deren Jahresumsatz bzw. Jahresbilanz € 2 Mio. nicht überschreitet. Wesentlich sind solche Dauerschuldverhältnisse, die zur angemessenen Fortsetzung des Erwerbsbetriebes erforderlich sind.
Wichtige Ausnahmen: Das Leistungsverweigerungsrecht besteht nicht, wenn dessen Ausübung dem Gläubiger wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Für Kleinstunternehmer gilt es zudem nicht, wenn die Verweigerung der Leistung zu einer Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts des Gläubigers oder seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen führen würde.
Das Leistungsverweigerungsrecht findet ferner keine Anwendung auf Miet- und Pachtverhältnisse, da für diese eine gesonderte Regelung besteht, und es gilt nicht für Verpflichtungen im Zusammenhang mit Arbeitsverträgen.
b) Sonderregelung für Verbraucherdarlehen
Für Darlehensforderungen aus Verbraucherdarlehensverträgen, die vor dem 15. März 2020 abgeschlossen wurden, gilt eine gesetzliche Stundung.
Die Ansprüche des Darlehensgebers auf Rückzahlung, Zins- oder Tilgungsleistungen, die zwischen dem 1. April 2020 und dem 30. Juni 2020 fällig werden, werden mit Eintritt der Fälligkeit für die Dauer von drei Monaten gestundet werden. Voraussetzung ist, dass der Verbraucher
Die Parteien können abweichende Vereinbarungen, insbesondere über mögliche Teilleistungen, Zins- und Tilgungsanpassungen oder Umschuldungen treffen.
Auch Kündigungen des Darlehensgebers wegen Zahlungsverzugs, wegen Corona-bedingter wesentlicher Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Verbrauchers oder der Werthaltigkeit einer gestellten Sicherheit sind insoweit bis zum Ablauf der Stundung ausgeschlossen.
Die Parteien sollen sodann verhandeln. Kommt eine einverständliche Regelung für den Zeitraum nach dem 30. Juni 2020 nicht zustande, verlängert sich die Vertragslaufzeit um drei Monate. Die jeweilige Fälligkeit der vertraglichen Leistungen wird um diese Frist hinausgeschoben.
Wichtige Ausnahme: Sämtliche Regelungen gelten nicht, wenn dem Darlehensgeber die Stundung oder der Ausschluss der Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls einschließlich der pandemieverursachten Veränderungen der allgemeinen Lebensumstände unzumutbar ist.
c) Mietrecht
Im Mietrecht gelten erhebliche Einschränkungen des Kündigungsrechts, die auf Wohn- und Gewerbemietverträge sowie auch Pachtverhältnisse Anwendung finden.
Wegen Zahlungsrückständen aus dem Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 dürfen Vermieter das Mietverhältnis nicht kündigen, sofern die Mietschulden auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruhen. Dieser Zeitraum kann maximal bis zum 30. September 2020 verlängert werden.
Die Kündigungsbeschränkung endet mit Ablauf des 30. September 2022. Anschließend kann der Vermieter daher wieder nach den allgemeinen Vorschriften kündigen, sollte der Mieter die Rückstände nicht beglichen haben.
Mit der Regelung soll verhindert werden, dass Mieter und Pächter in dem Zeitraum, in dem nach den derzeitigen Erwartungen die COVID-19-Pandemie zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen führen wird, die Miet- oder Pachtsache infolge von auflaufenden Zahlungsrückständen verlieren.
Die Pflicht zur Zahlung der Miete oder Pacht bleibt nach dem Wortlaut des Gesetzes und seiner Begründung allerdings ausdrücklich bestehen:
„Unberührt bleiben die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs der Fälligkeit und des Verzugs, die weiterhin auf die Miet- und Pachtforderungen während der Geltung des Gesetzes anwendbar sind. Dies hat zur Folge, dass Mieter und Pächter ihre Forderungen weiterhin fristgerecht leisten müssen und bei nicht fristgerechter Leistung gegebenenfalls in Verzug geraten. Auch bleiben Kündigungen des Miet- beziehungsweise Pachtverhältnisses aus anderen Gründen (zum Beispiel andere wichtige Gründe, die auf schwerwiegendem Fehlverhalten des Mieters gegenüber dem Vermieter beruhen) weiterhin möglich.“
Möchte ein Mieter von der Regelung Gebrauch machen, so sollte er den Vermieter unter Verweis auf die gesetzliche Regelung informieren und ihm mitteilen, dass er pandemiebedingt die Zahlungen aussetzen muss. Im Streitfall hat er glaubhaft zu machen, dass die Zahlungsrückstände zumindest mittelbar auf der COVID-19-Pandemie beruhen. Die Glaubhaftmachung kann dabei durch die üblichen Beweismittel und insbesondere durch eine Versicherung an Eides Statt erfolgen. Die Mieter von Gewerberäumen, die einem behördlichen Verbot unterliegen, dürften für die Glaubhaftmachung u.a. auf dieses Verbot verweisen können (dies gilt z.B. für die Mieter sämtlicher Gewerbemietobjekte, deren Geschäftsbetrieb ganz oder zumindest teilweise durch Rechtsverordnungen der Landesregierungen untersagt ist).
Rechtliche Anmerkungen:
Anpassung des Mietzinses wegen höherer Gewalt?
Für viele gewerbliche Mieter stellt sich die Frage, ob sie von ihren Vermietern eine Anpassung des Mietvertrags, insbesondere einen Fortfall oder eine Minderung des Mietzinses, aufgrund höherer Gewalt verlangen können.
Dies hängt in erster Linie von der vertraglichen Ausgestaltung des jeweiligen Mietvertrags im Einzelfall ab und erfordert daher eine vertiefte rechtliche Prüfung der konkret vereinbarten Leistungspflichten des Vermieters und der Verteilung der Risiken sowie auch der Reichweite der vorhandenen behördlichen pandemiebedingten Nutzungsverbote. Unter besonderen Umständen können sich Mieter ggf. auf eine Befreiung vom Mietzins gemäß § 326 Abs. 1 BGB berufen, weil dem Vermieter die Bereitstellung des Mietobjekts zum vertraglich vereinbarten Gebrauch rechtlich unmöglich geworden ist, oder wegen Störung der Geschäftsgrundlage eine Anpassung des Mietzinses gemäß § 313 BGB verlangen.
Grundsätzlich dürfte dies wohl nur eingeschränkt möglich sein:
Zum einen hat der BGH z.B. für Gewerberaummietverträge immer wieder klargestellt (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2010, Az. XII ZR 131/08), dass es in die Risikosphäre des Mieters fällt, die unternehmerischen Erfolgsaussichten seines Geschäfts in der von ihm gewählten Lage abzuschätzen.
Zum anderen hat der Gesetzgeber in dem jetzigen Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht nur den Ausschluss des Kündigungsrecht des Vermieter vorgesehen und klargestellt, dass die Mietzahlungspflicht des Mieters grds. weiter besteht. Das Leistungsverweigerungsrecht für Verbraucher und Kleinstunternehmen wurde gerade nicht auf Miet- und Pachtverhältnisse erstreckt und es wurde auch keine Stundung von Mietzahlungen (wie für Verbraucherdarlehensverträge) aufgenommen.
Mietzinsklage und Vollstreckung durch Vermieter oder Sicherheitengeber?
Nach dem Wortlaut des Gesetzes und der oben zitierten Begründung bleibt die Verpflichtung des Mieters zur Zahlung des Mietzinses einschließlich Verzugszinsen ausdrücklich bestehen. Es wird lediglich das Kündigungsrecht ausgeschlossen, Leistungsverweigerungsrecht oder Stundung gelten nicht.
Der Vermieter könnte also weiterhin eine Zahlungsklage gegen den Mieter erheben oder vereinbarte Sicherheiten wie z.B. Bankbürgschaften ziehen. Die aus der Bürgschaft in Anspruch genommene Bank könnte dann Regress beim Mieter nehmen und ggf. Zahlungsklage erheben. Der Mieter kann in dem Prozess zwar glaubhaft machen, dass er nicht hinreichend zahlungsfähig ist, sein Einwand betrifft allerdings nur das ausgeschlossene Kündigungsrecht. Da es sich gerade nicht um einen Kündigungsprozess, sondern um eine Zahlungsklage handelt und der Mieter nach der Gesetzesbegründung weiter zur Zahlung verpflichtet ist, dürfte der Vermieter bzw. die Bank den Rechtsstreit voraussichtlich gewinnen. Der Zahlungsanspruch kann dann vollstreckt werden und der Mieter müsste die Vollstreckungsmaßnahmen dulden und ggf. seinen Betrieb einstellen. In diesem Fall würde also genau das eintreten, was das Gesetz vermeiden will: Denn es soll ja gerade verhindert werden, dass Mieter und Pächter pandemiebedingt die Miet- oder Pachtsache infolge von auflaufenden Zahlungsrückständen verlieren. Es bleibt abzuwarten, ob dem Mieter oder Pächter in diesem Fall Vollstreckungsschutz gewährt werden wird.
2. Gesellschaftsrecht
Die Beschlussfassung durch Organe von Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereinen, Stiftungen und Wohnungseigentümergemeinschaften wird erleichtert, damit die COVID-19 bedingten Versammlungsverbote nicht zu einer grundsätzlichen Handlungsunfähigkeit führen.
Publikumsgesellschaften wird es erstmals gestattet, eine präsenzlose virtuelle Hauptversammlung mit verkürzter Einberufungsfrist unter Zuhilfenahme geeigneter elektronischer Kommunikationsmittel abzuhalten. Beachten Sie hierzu auch unseren Blogbeitrag zur Durchführung der Hauptversammlung 2020 während der Corona-Krise.
Des Weiteren können Vorstände abweichend von § 59 Abs. 1 AktG während der Krise auch ohne Satzungsermächtigung über die Zahlung eines Abschlags auf den Bilanzgewinn nach Maßgabe des § 59 Abs. 2 AktG (Jahresüberschuss nach vorläufigem Jahresabschluss) an die Aktionäre entscheiden.
Umwandlungsmaßnahmen nach § 17 UmwG können vorgenommen werden, wenn die Bilanz auf einen Stichtag erstellt worden ist, der zwölf Monate vor der Anmeldung zum Handelsregister liegt. Vormals galt eine Frist von acht Monaten.
3. Insolvenzrecht
Die Insolvenzantragspflicht wird bis zum 30. September 2020 ausgesetzt, wenn die Insolvenz auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Das damit verbundene Zahlungsverbot wird ebenfalls ausgesetzt. So soll betroffenen Unternehmen die Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebs ermöglicht werden.
Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist zwar an die folgenden Voraussetzungen gebunden, deren Einhaltung wird allerdings durch besondere Beweislastregeln erleichtert:
Die Insolvenzantragspflicht bleibt allerdings anwendbar, wenn später erkennbar keine realistischen Sanierungsaussichten gegeben sind.
Des Weiteren werden die mit der Insolvenzreife einhergehenden Zahlungsverbote (§ 64 Satz 1 GmbHG, § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG) gelockert. Hiermit soll die Geschäftsleitung vor Haftungsgefahren geschützt werden.
Die Insolvenzanfechtung von Rechtshandlungen wird eingeschränkt. Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben, die dieser zu Recht beanspruchen konnte, sind in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar, es sei denn, dem anderen Teil war bekannt, dass die Sanierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind.
Die Neuaufnahme von Krediten wird in der Krise anfechtungs- und haftungsrechtlich privilegiert. Die bis zum 30. September 2023 erfolgte Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraums gewährten neuen Kredits sowie die in diesem Zeitraum erfolgte Bestellung der Kreditsicherheiten gilt nicht als Gläubigerbenachteiligung. Dies gilt auch für die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und Zahlungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen. Kreditgewährung und Sicherheiten im Aussetzungszeitraum werden auch nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung angesehen.
Für einen dreimonatigen Übergangszeitraum wird auch das Recht der Gläubiger suspendiert, die Eröffnung von Insolvenzverfahren zu beantragen: Bei Gläubigerinsolvenzanträgen, die innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes gestellt werden, wird das Insolvenzverfahren nur eröffnet, wenn der Eröffnungsgrund bereits am 1. März 2020 vorlag.
Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sowie die Regelung zum Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen können im Verordnungswege bis zum 31. März 2021 verlängert werden.
4. Strafverfahrensrecht
Strafgerichtliche Hauptverhandlungen können für maximal drei Monate und zehn Tage unterbrochen werden, wenn diese aufgrund von Maßnahmen zur Vermeidung der Verbreitung der COVID-19-Pandemie nicht durchgeführt werden können.
Fazit
Mit dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie hat der Gesetzgeber auf jeden Fall Handlungsschnelle bewiesen. Da das Gesetz dementsprechend „mit heißer Nadel gestrickt“ wurde, werden sich sicherlich viele rechtliche Fragen stellen, die ggf. durch gesetzliche Nachbesserungen oder gerichtliche Verfahren beantwortet werden müssen. Ob die Gesetzesänderungen und die bereits von Bund und Ländern eingeleiteten Maßnahmen insgesamt ausreichen, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie weitestgehend einzudämmen, bleibt abzuwarten.
Haben Sie Fragen zu den rechtlichen Auswirkungen des Coronavirus? Sprechen [oder mailen] Sie uns gerne an!