Manch einen hat es offensichtlich überrascht, doch letztlich war es wohl längst überfällig: Mit Beschluss vom 17.12.2014 (Az. 13 Verg 3/13) hat das OLG Celle dem EuGH Fragen zur vergaberechtlichen Zulässigkeit eines ausschreibungsfrei gegründeten kommunalen Abfallzweckverbands vorgelegt, welcher neben seinen öffentlichen Aufgaben faktisch auch in erheblichem Ausmaß Tätigkeiten am Markt entfaltet.
Der den Fragen zu Grunde liegende Sachverhalt
Bei dem nun bis zum EuGH vorgedrungenen Fall geht es um einen in Deutschland nicht untypischen Sachverhalt: Zwei Kommunen hatten im Jahr 2002 einen gemeinsamen Zweckverband gegründet, welcher für die beteiligten Kommunen bestimmte Aufgaben in eigener Zuständigkeit übernehmen sollte. Konkret ging es bei einer der beteiligten Kommunen um die Aufgabe der Straßenreinigung, bei der anderen Kommune um die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers. Für die Aufgabenwahrnehmung wurde der Zweckverband von den Kommunen mit den jeweils notwendigen Sachmitteln sowie einer Ausgleichsklausel für mögliche Fehlbeträge ausgestattet.
Nach der Verbandssatzung sollte der Zweckverband allerdings auch berechtigt sein, weitere Tätigkeiten zu entfalten, so insbesondere die Sammlung und Entsorgung von (Gewerbe-)Abfällen zur Verwertung sowie von Verpackungsabfällen. Hierfür, ebenso wie für seine öffentlichen Aufgaben, erhielt der Verband auch die Befugnis, sich Dritter zu bedienen und sich an Einrichtungen und Unternehmen zu beteiligen.
Von diesem Recht zur Entfaltung weiterer Markttätigkeiten machte und macht der Zweckverband seit einiger Zeit denn nun auch regen Gebrauch. Genaue Zahlen zu den mit den übertragenen öffentlichen Aufgaben einerseits und den am Markt ausgeführten Tätigkeit andererseits erwirtschafteten Umsätzen wurden im Verfahren zwar (bislang) nicht vorgelegt. Das OLG Celle sieht aber jedenfalls Anhaltspunkte dafür, dass die am Markt realisierten Umsätze im Jahr 2013 in jedem Fall mehr als 10 %, möglicherweise sogar mehr als 20 % der Gesamtumsätze des Zweckverbands betragen haben.
Das Beschwerdevorbringen
Genau diese wesentliche Betätigung des Zweckverbandes am Markt war Anlass eines von avocado rechtsanwälten vertretenen Entsorgungsunternehmens, das Zweckverbandskonstrukt zunächst vor der Vergabekammer Lüneburg und sodann in zweiter Instanz vor dem OLG Celle anzugreifen. Als maßgebliches Argument für eine Vergaberechtswidrigkeit wurde dabei vorgebracht, dass jedenfalls nach der neueren Rechtsprechung des EuGH auch Vereinbarungen mehrerer öffentlicher Stellen zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe nicht per se dem Vergaberecht entzogen seien. Erforderlich sei vielmehr, dass entweder die Voraussetzungen einer Inhouse-Vergabe oder aber die Voraussetzungen einer öffentlich-öffentlichen Kooperation im Sinne der EuGH-Entscheidung Stadtreinigung Hamburg (Urt. v. 09.06.2009, Rs. C-480/06) erfüllt seien. Beide Bereichsausnahmen lägen aber jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Zweckverband in wesentlichem Umfang Umsätze am Markt generiere. Mit der Überschreitung der Wesentlichkeitsgrenze habe der Zweckverband somit seine Vergaberechtsfreiheit eingebüßt mit der Folge, dass der Weiterbestand des Zweckverbands und die damit verbundene Aufgabenwahrnehmung nunmehr als unzulässige de-facto-Vergabe zu werten sei. Der dem Zweckverband zugrunde liegende Verwaltungsvertrag sei daher gemäß § 101b GWB für nichtig zu erklären.
Vorlagefragen an den EuGH
Dieser Argumentation hat sich das OLG Celle nun – jedenfalls im Ansatz – aufgeschlossen gezeigt. Zwar sei bislang in der Rechtsprechung und Lehre überwiegend die Auffassung vertreten worden, dass die Gründung von Zweckverbänden und die (delegierende) Aufgabenübertragung auf solche Verbände per se ausschreibungsfrei möglich sei. Tatsächlich erscheine nach der aktuellen Vergaberechtsprechung des EuGH aber zweifelhaft, ob diese Auffassung noch ohne Weiteres Bestand haben könne. Da die Beantwortung dieser Frage letztlich von der Auslegung des Unionsrechts abhänge, sei das Verfahren auszusetzen und dem EuGH die Frage nach der vergaberechtliche Relevanz von Zweckverbandsvorhaben zur Vorabentscheidung vorzulegen. Außerdem hat das OLG Celle dem EuGH für den Fall, dass dieser auf die Frage des OLG Celle hin eine vergaberechtliche Relevanz der Zweckverbandsausrichtung im Grundsatz bejahen sollte, die weitere Frage vorgelegt, nach welchen Vorgaben sich dann eine mögliche Ausnahme vom Vergaberecht bemessen müsste – nach den Voraussetzungen der Inhouse-Vergabe oder aber nach den Voraussetzungen der (horizontalen) öffentlich-öffentlichen Kooperation.
Auswirkungen der Vorlageentscheidung auf die Praxis
Nachdem zuletzt das OLG Koblenz mit einer Entscheidung vom 03.12.2014 (Az. Verg 8/14) ganz generell in Frage gestellt hat, ob nach dem nationalen deutschen Recht die Möglichkeit einer ausschreibungsfreien öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit überhaupt bestehe, rückt nunmehr das OLG Celle speziell die Vergaberechtsfreiheit von Zweckverbandsvorhaben in den Fokus. Dabei hat die erwartete Entscheidung des EuGH durchaus Brisanz. Denn viele kommunale Zweckverbände – gerade im Abfallbereich – betätigen sich in ganz erheblichem Maße auch gewerblich. Sollte der EuGH zu dem Ergebnis kommen, dass derartige Modelle einer Vergaberechtsfreiheit der Zweckverbandsgründung entgegenstehen, könnte dies spürbare Auswirkungen auf den Markt haben. Möglicherweise müssten zahlreiche Zweckverbände aufgelöst und deren Aufgaben neu ausgeschrieben werden – oder aber jedenfalls die gewerbliche Tätigkeit der Verbände erheblich eingeschränkt werden. Für Entsorgungsunternehmen hätten dabei beide Varianten interessantes wirtschaftliches Potential. Mit einer Entscheidung des EuGH ist indes voraussichtlich erst in ein bis zwei Jahren zu rechnen.