Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung
Der EuGH erinnert daran, dass die nationalen Gerichte bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts dieses so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen Richtlinie auslegen müssen, um das in der Richtlinie festgelegte Ziel zu erreichen. Auf diese Weise solle die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts gewährleistet werden. Der Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung gelte dabei erst ab Ablauf der Umsetzungsfrist. Der Zeitpunkt, zu dem die nationalen Umsetzungsmaßnahmen im betreffenden Mitgliedstaat tatsächlich in Kraft treten, sei dagegen irrelevant. Allerdings betont der EuGH, dass während der Umsetzungsfrist der Richtlinie keine Vorschriften erlassen werden dürften, die geeignet seien, die Erreichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Zieles ernstlich zu gefährden. Da alle Träger öffentlicher Gewalt der Mitgliedstaaten verpflichtet seien, die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu garantieren, gelte diese Unterlassungspflicht auch für die nationalen Gerichte. Daraus folge, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Richtlinie es so weit wie möglich unterlassen müssten, das innerstaatliche Recht auf eine Weise auszulegen, die die Erreichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Zieles nach Ablauf der Umsetzungsfrist ernsthaft gefährden würde.
Konsequenz für die Vergabekoordinierungsrichtlinie
Die Vergabekoordinierungsrichtlinie (RL 2004/18/EG) hätte zum 31.01.2006 umgesetzt werden müssen. Dies ist von deutscher Seite allerdings nicht fristgemäß erfolgt. Vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des EuGH haben Vergabekammern und die Vergabesenate bei den Oberlandesgerichten im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens nicht nur die unmittelbar geltenden Bestimmungen der Richtlinie zu beachten, sondern insgesamt vergaberechtliche Rechtsstreitigkeiten im Licht des Wortlauts und des Zwecks der Vergabekoordinierungsrichtlinie zu entscheiden. Öffentlichen Auftraggebern ist außerdem bereits jetzt anzuraten, die in der Vergabekoordinierungsrichtlinie vorgesehenen Änderungen gegenüber dem bislang geltenden Recht zu berücksichtigen, sofern dies möglich ist. Hat der Gemeinschaftsgesetzgeber allerdings etwaige Neuerungen – z. B. elektronische Auktionen und dynamische Beschaffungen – vorgesehen, die im nationalen Recht bislang nicht existieren, ist ein öffentlicher Auftraggeber nach wie vor an die nationalen Vorgaben gebunden, bis der deutsche Gesetzgeber die Neuerungen in nationales Recht umgesetzt hat.