Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland
Der Gerichtshof folgt damit einer Klage der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland. Das von der Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren richtete sich gegen einen Vertrag, den die Stadt München im Jahr 1997 mit einem privaten Entsorgungsunternehmen abgeschlossen hatte. In der Vereinbarung verpflichtete sich die Stadt, dem Unternehmen den Transport bestimmter Abfälle von den jeweiligen Übergabestellen zu dem von ihr betriebenen Heizkraftwerk München-Nord zu überlassen. Die Vereinbarung stand unter dem Vorbehalt, dass die Stadt München den Zuschlag für einen öffentlich ausgeschriebenen Entsorgungsauftrag erhielt, um den sie sich als Bieter in dem Vergabeverfahren beworben hatte. Nachdem der Stadt tatsächlich der Zuschlag erteilt worden war, übertrug sie dem Entsorgungsunternehmen entsprechend der Vereinbarung den Transport der Abfälle, ohne dass sie ihrerseits diesen Auftrag zuvor ausschrieb. Die Europäische Kommission beanstandete dieses Vorgehen und wies darauf hin, dass der Auftrag über den Abfalltransport dem Vergaberecht unterfalle. Die deutschen Behörden bestritten dagegen die Verletzung europäischen Vergaberechts. Daraufhin erhob die Kommission Klage.
"Öffentlicher Auftrag" muss nicht im Allgemeininteresse liegen
Mit der zitierten Entscheidung folgt der Gerichtshof den Schlussanträgen des Generalanwalts, der die Ausschreibungspflicht des Transportauftrags eindeutig bejaht hatte. Die Europarichter verwerfen dabei ausdrücklich sämtliche Einwände der deutschen Bundesregierung. Diese hatte argumentiert, dass die Stadt München hinsichtlich des Vertrages mit dem privaten Entsorgungsunternehmen weder als öffentlicher Auftraggeber, noch die konkrete Transportleistung ein öffentlicher Auftrag im Sinne des Vergaberechts sei. Der Auftrag füge sich nicht in den Rahmen der im allgemeinen Interesse liegenden Tätigkeiten der Stadt München ein, sondern betreffe eine eindeutig davon verschiedene und dem Wettbewerb unterliegende Tätigkeit. Der Gerichtshof hält dem entgegen, dass die lokalen Gebietskörperschaften per definitionem öffentliche Auftraggeber seien. Im europäischen Vergaberecht werde eben nicht zwischen jenen Aufträgen unterschieden, die ein öffentlicher Auftraggeber vergibt, um seine im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben zu erfüllen, und denjenigen, die in keinem Zusammenhang mit derartigen Aufgaben stünden.
Verwendung öffentlicher Mittel nicht "konstitutiv"
Auch die Einwände der Bundesregierung, dass der betreffende Transportauftrag auf diese Weise "doppelt" ausgeschrieben werden müsste und dass die Stadt München keine öffentlichen Mittel hierfür verwendet habe, fanden vor dem EuGH kein Gehör. Letztlich lägen zwei verschiedene öffentliche Aufträge vor und die Verwendung öffentlicher Mittel sei kein "konstitutives Element" des Begriffs "öffentlicher Auftrag". Der Gerichtshof räumt zwar ein, dass die Stadt München als Bieter tatsächlich schon mit Angebotsabgabe den Namen des betreffenden Nachunternehmers hätte mitteilen müssen - praktisch unmöglich, wie die Bundesregierung argumentiert hatte, sei es aber nicht gewesen, den Transportauftrag auszuschreiben: Die Stadt München hätte nach Auffassung des EuGH schließlich ein beschleunigtes, nichtoffenes Verfahren zwischen der Veröffentlichung der Ausschreibung und der Abgabe des Angebotes durchführen können.
Ausnahme für Verhandlungsverfahren lag nicht vor
Der streitige Auftrag habe auch nicht im Verhandlungsverfahren und ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben werden dürfen, wie die Bundesregierung endlich behauptete. Die einschlägige Regelung für ein derartiges Vorgehen sei als Ausnahmetatbestand eng auszulegen, betont der Gerichtshof. Die Ausnahme greife daher nur ein, wenn kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt seien: Erstens müsse insoweit ein unvorhersehbares Ereignis vorliegen, zweitens müssten zwingende dringliche Gründe die Einhaltung der in anderen Verfahren vorgeschriebenen Fristen nicht zulassen und drittens müsse ein Kausalzusammenhang zwischen dem unvorhersehbarem Ereignis und den sich daraus ergebenden zwingenden Gründen bestehen. Eine derartige zwingende Dringlichkeit habe die insoweit beweispflichtige Bundesregierung aber nicht dargetan.
Auffassung des OLG Düsseldorf europarechtswidrig
Die zitierte Entscheidung des Gerichtshof ist vor allem deswegen bemerkenswert, da das OLG Düsseldorf Anfang des Jahres eine gegenteilige Auffassung zu der des EuGH vertreten hat (Beschluss vom 28.04.2004, VII-Verg 2/04 ) - wir informierten im Newsletter September 2004. Der von dem Düsseldorfer Vergabesenat entschiedene Fall betraf einen DSD-Entsorgungsauftrag, den ein kommunales Unternehmen übernommen hatte, die Leistungen aber teilweise von einem Subunternehmer erbringen lassen wollte. Diesen DSD-Subunternehmerauftrag sah das OLG Düsseldorf nicht als öffentlichen Auftrag an. Er müsse daher auch nicht öffentlich ausgeschrieben werden. Das Gericht war der Auffassung, dass nur solche Auftragsvergaben auszuschreiben seien, mit denen der öffentliche Auftraggeber einen in seinem Verantwortungsbereich auftretenden eigenen Beschaffungsbedarf Rechnung trage. Dem ist der EuGH nunmehr ausdrücklich entgegengetreten. Öffentliche Auftraggeber müssen daher entsprechende Subunternehmeraufträge ausschreiben, private Unternehmen können die - ihnen bekannt gewordenen - "De-facto-Vergaben" von Subunternehmeraufträgen der öffentlichen Hand rügen und mit Erfolg hiergegen gerichtete Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern und Vergabesenaten anstrengen.