Es ging also um die aus Arbeitgebersicht bedeutende Frage, ob im Falle von Betriebsänderungen zukünftig an zwei „Fronten“ gekämpft werden muss, weil neben den innerbetrieblichen Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen auch die Gewerkschaften die Arbeitgeber durch Streikaufrufe zur Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss von tariflichen Sozialplänen zwingen können. Das BAG ist zu dem Ergebnis gekommen, dass Gewerkschaften zu Streiks für einen tariflichen Sozialplan aufrufen dürfen.
Praxistipp
Noch mehr als bisher gilt es seit der vorzitierten Entscheidung, Betriebsänderungen (z. B. Betriebsteilschließungen oder -verlagerungen) äußerst sorgfältig vorzubereiten, um alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, mit dem Betriebsrat möglichst schnell zu einer Lösung in Form eines Interessenausgleichs zu kommen. Gelingt dies nicht in vertretbarer Zeit, und droht der Betriebsrat sogar mit der Hinzuziehung der Gewerkschaft, sollte sofort die Einigungsstelle angerufen werden, um das Verfahren weiter zu beschleunigen. Die Einbeziehung der Gewerkschaft durch den Betriebsrat, die Gesprächsaufnahme zwischen Gewerkschaft und Geschäftsführung und die Mobilisierung der Belegschaft für etwaige Streiks bedürfen einer gewissen Zeit, die vom Arbeitgeber intensiv dazu genutzt werden sollte, Fakten zu schaffen, bevor die Auseinandersetzung durch einen Streik vollkommen eskaliert.
Einzelheiten
Die Heidelberger Druckmaschinen AG hatte angekündigt, Betriebsteilverlagerungen (teilweise ins Ausland) vorzunehmen. Parallel zu den betrieblichen Interessenausgleichsverhandlungen nach §§ 111 ff. BetrVG forderte die IG Metall vom Arbeitgeberverband die Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss eines auf den Betrieb bezogenen Sozialplan-Tarifvertrages. Die Gewerkschaft verlangte erheblich verlängerte Kündigungsfristen für betriebsbedingte Kündigungen, hohe Abfindungszahlungen sowie von der Heidelberger Druckmaschinen AG zu finanzierende Qualifizierungsmaßnahmen (bis zu 24 Monate unter Fortzahlung der Vergütung). Da der Arbeitgeberverband die Erfüllung dieser Forderungen verweigerte, bestreikte die IG Metall den betroffenen Betrieb. Die Streiks dauerten ca. vier Wochen an.
Nach Auffassung des BAG dürfen Gewerkschaften zu Streiks für einen tariflichen Sozialplan aufrufen. Für die Aufstellung betriebsbezogener Sozialpläne seien zwar nach §§ 111, 112 BetrVG Arbeitgeber und Betriebsrat zuständig. Das Betriebsverfassungsgesetz schränke jedoch die Regelungsbefugnis von Tarifvertragsparteien nicht ein. Ansprüche auf Abfindungen oder Qualifizierungsmaßnahmen seien zwar typische Sozialplaninhalte. Zugleich handele es sich aber auch um tariflich regelbare Angelegenheiten. Sofern der Arbeitgeberverband zum Abschluss eines entsprechenden Tarifvertrages nicht bereit sei, dürfe hierfür gestreikt werden. Dem stand nach Auffassung des BAG auch nicht entgegen, dass die Gewerkschaft sehr weitgehende Tarifforderungen verfolgte.
Nach dieser Entscheidung des BAG steht zu befürchten, dass sich Gewerkschaften noch wesentlich stärker als bisher an betrieblichen Auseinandersetzungen beteiligen und Arbeitgeber unter Streikandrohung zu umfangreichen „Sozialplan“-Leistungen zwingen werden.