Der Kampf um das Altpapier, den das Bundesverwaltungsgericht im Juni 2009 vermeintlich für ganz Deutschland zugunsten der Kommunen entschieden hatte, ist unter anderem im Landkreis Holzminden wieder aufgeflammt: Mit Beschluss vom 26.05.2010 (7 ME 20/10, 12 B 5464/09) hat das OVG Niedersachsen Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines für sofort vollziehbar erklärten Sammelverbots des Kreises gegen ein Privatunternehmen geäußert. Denn auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.06.2009 (7 C 16.08) seien haushaltsnahe Sammlungen von Altpapier durch private Unternehmen nicht von vornherein unzulässig. Vielmehr sei im Einzelfall zu klären, ob die in Rede stehende Sammlung tatsächlich keine „gewerbliche Sammlung“ im Sinne des § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 KrW-/AbfG darstelle und ob, falls eine gewerbliche Sammlung vorliege, öffentliche Interessen der Sammlung entgegenstünden. Im Hinblick auf beide Voraussetzungen hat das OVG im vorliegenden Fall offensichtlich Bedenken. Es hat deshalb in Abänderung des Beschlusses des VG Hannover vom 17.02.2010 die aufschiebende Wirkung der gegen die Untersagungsverfügung gerichteten Klage des Entsorgungsunternehmens wiederhergestellt und damit dem Entsorgungsunternehmen die Fortführung seiner Sammlungstätigkeit bis zu einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung in der Hauptsache zugestanden.
Die Entscheidung des BVerwG vom 18.06.2009
Entgegen der bis dahin absolut vorherrschenden Rechtsprechung hatte das Bundesverwaltungsgericht mit Datum vom 18.06.2009 entschieden, dass private Haushaltungen ihren Hausmüll einschließlich seiner verwertbaren Bestandteile (wie insbesondere das Altpapier) grundsätzlich den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern zu überlassen hätten. Davon ausgenommen seien nur die Teile des Hausmülls, zu deren Verwertung der Abfallbesitzer persönlich oder auf eigenem Grundstück bzw. auf eigenen Betriebsflächen – also ohne Beauftragung eines Dritten – in der Lage sei. Überdies bestehe keine Überlassungspflicht im Falle einer zulässigen gewerblichen Sammlung im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG. Gleichzeitig hat das Bundesverwaltungsgericht alle maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen einer gewerblichen Sammlung erheblich enger gefasst als die gesamte bisherige oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung. Eine „gewerbliche Sammlung“ schließe insbesondere alle Tätigkeiten aus, die auf vertraglicher Grundlage zwischen den sammelnden Unternehmen und den privaten Haushaltungen nach Art eines Entsorgungsträgers in regelmäßig dauerhaften Strukturen erbracht werden. Eine im Wege einer Gesamtwürdigung vorzunehmende Abgrenzung gewerblicher Sammlungen habe sich an einem Vergleich mit dem Bild des Entsorgungsträgers unter Einbeziehung der genannten Kriterien zu orientieren. Dabei sprächen Entgeltvereinbarungen oder verbindliche Einzelaufträge sowie dauerhafte und in festen Strukturen erfolgende Sammeltätigkeiten, die sich von den Entsorgungstätigkeiten nach § 16 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG beauftragter Dritter nicht wesentlich unterschieden, gegen die Qualifizierung als gewerbliche Sammlung.
Auch den Begriff der „entgegenstehenden öffentlichen Interessen“ hat das Bundesverwaltungsgericht zugunsten der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger interpretiert. „Überwiegende öffentliche Interessen“ stünden einer gewerblichen Sammlung nicht erst bei einer Existenzgefährdung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungssystems entgegen. Im Rahmen der Prüfung der „entgegenstehenden überwiegenden öffentlichen Interessen“ sei zwar die Entsorgungssicherheit ein wesentlicher Aspekt. Dies sei aber nicht der einzige relevante Gesichtspunkt. Öffentliche Interessen könnten insoweit auch schon unterhalb der Schwelle der Existenzgefährdung berührt werden, wenn die Sammlung nach ihrer konkreten Ausgestaltung mehr als nur geringfügige Auswirkungen auf die Organisation und Planungssicherheit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers nach sich ziehe. In der Folge dieser Entscheidung hatten zahlreiche Kommunen die laufenden privaten Sammlungen (erneut) untersagt.
OVG Niedersachsen sieht die vom BVerwG aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt
Ohne sich mit der in der Literatur lebhaft umstrittenen Frage auseinanderzusetzen, inwieweit die dargestellt Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts europäischem Primär- und Sekundärrecht und/oder nationalem Verfassungsrecht entgegensteht, hat das OVG Niedersachsen nunmehr in dem zuvor zitierten Beschluss vom 26.05.2010 ausgeführt, dass die dort streitgegenständliche Altpapiersammlung auch unter Berücksichtigung der Maßstäbe des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig sei. Vielmehr blieben Fragen offen, denen im Hauptsacheverfahren weiter nachgegangen werden müsse.
Zum einen sieht es das OVG dabei als klärungsbedürftig an, ob es sich bei der Tätigkeit des Privatunternehmens tatsächlich nicht um eine gewerbliche Sammlung handele. Zwar spreche die Regelmäßigkeit und auf Dauer angebotene Entsorgungsleistung gegen eine solche gewerbliche Sammlung; auf der anderen Seite erfülle das Fehlen verbindlicher Einzelaufträge mit den privaten Haushaltungen und das Fehlen von Entgeltvereinbarungen Kriterien für eine gewerbliche Sammlung. Außerdem sei das Entsorgungsunternehmen nicht flächendeckend, sondern nur in einzelnen Regionen des Entsorgungsgebietes und nur in einer geringen Anzahl von Haushaltungen tätig. Diese geringe Quote spreche ebenfalls gegen eine der öffentlich-rechtlichen Entsorgung ähnliche Tätigkeit. Bei Zugrundelegung einer Gesamtbetrachtung der Umstände, auf die auch das Bundesverwaltungsgericht abstelle, sei deshalb eine gewerbliche Sammlung jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen.
Des Weiteren hält das OVG die Ausführungen des Landkreises zu den der Sammlungstätigkeit entgegenstehenden, überwiegenden öffentlichen Interessen i. S. d. § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 KrW-/AbfG für nicht überzeugend. Allein eine Verbesserung der Einnahmensituation des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers reiche in jedem Fall nicht aus, um ein überwiegendes öffentliches Interesse zu bejahen, weil damit der Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung nahezu auf Null reduziert wäre. Die weitergehenden Ausführungen des Landkreises erschöpften sich jedoch in mehreren, nicht weiter belegten Annahmen und Vermutungen über die Entwicklung der Altpapierpreise und über die Einstellung der privaten Sammlung in diesem Fall.
Die Entscheidung des OVG und ihre Konsequenzen
Aufgrund des offenen Ausgangs des Hauptsacheverfahrens nimmt das OVG Niedersachsen eine allgemeine Interessenabwägung der Parteien vor und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Interessen des Privatunternehmens an einer Fortführung der Entsorgung bis zur Entscheidung in der Hauptsache überwiegen. Während sich nämlich der Landkreis auf die Weiterführung der Sammlung ohne Weiteres einstellen könne, laufe das Privatunternehmen Gefahr, seine Sammlungstätigkeit auch bei einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren nicht wieder aufnehmen zu können. Das OVG stellt deshalb die aufschiebende Wirkung der Klage des privaten Entsorgungsunternehmens wieder her und erlaubt somit die Fortführung der Sammlungstätigkeit bis zur Entscheidung über die Klage – wenn auch unter der Prämisse, dass die private Sammlungstätigkeit bis zur Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens nicht weiter ausgedehnt werden darf.
Fazit
Auch wenn mit dem Beschluss des OVG Niedersachsen bislang weder abschließend darüber entschieden ist, ob die konkret in Rede stehende Sammlungstätigkeit als „gewerbliche Sammlung“ im Sinne des § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 KrW-/AbfG anzusehen ist, noch eine abschließende Antwort auf die Frage gegeben wird, welche Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sein müssen, um von einer zulässigen gewerblichen Sammlung ausgehen zu können, so gibt der Beschluss doch Anlass zu der Hoffnung, dass die seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zunehmenden Verbotsverfügungen der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger noch einmal auf den Prüfstand kommen und das letzte Wort über die Unzulässigkeit privater Altpapiersammlungen noch nicht gesprochen ist. Die Ausführungen des OVG und dessen offensichtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung sprechen jedenfalls für die Annahme, dass die Gerichte auch dauerhaft und turnusmäßig durchgeführte private Altpapiersammlungen, entgegen der Ansicht vieler Kommunen, nicht von vornherein als unzulässig ansehen, sondern vielmehr im Einzelfall prüfen werden, ob tatsächlich eine Entsorgungstätigkeit vorliegt, die der öffentlich-rechtlichen Entsorgungstätigkeit gleichkommt. Außerdem ist zu begrüßen, dass das Gericht noch einmal klarstellt, dass das Vorliegen überwiegender öffentlicher Interessen, trotz der erheblichen Aufweichung des Begriffes durch das Bundesverwaltungsgericht, nicht in jedem Fall privater Sammlungstätigkeit bejaht werden kann, sondern vielmehr im Einzelfall geprüft und näher dargelegt werden muss, worin die überwiegenden Interessen bestehen, wobei es insoweit keinesfalls (zumindest nicht allein) auf den Einnahmenausfall der öffentlichen Hand ankommen kann.
Mit Spannung darf nun erwartet werden, wie das VG Hannover als in der Hauptsache erstinstanzlich zuständiges Gericht über die Rechtmäßigkeit der Sammlung entscheiden wird. Auch vor anderen Verwaltungsgerichten sind bereits ähnlich gelagerte Fälle anhängig gemacht worden, deren Ausgang neuen Wind in die Diskussion um private Altpapiersammlungen bringen dürfte. Der Kampf um die Blauen Tonnen geht also zunächst weiter.