Es dürfte zwischenzeitlich auch in den letzten Winkel der Republik vorgedrungen sein, dass Coronaviren (SARS-CoV-2) höchst ansteckend und gefährlich sind. Allerdings wird in der aktuellen Lage angesichts der vielfältigen sonstigen Probleme von vielen Unternehmen der Umstand außer Acht gelassen, dass die durch das Coronavirus bedingten Veränderungen am Arbeitsplatz auch bestimmte, sich nicht sofort aufdrängende arbeitsschutzrechtliche Folgen haben (können) und infolgedessen – um nur ein Beispiel zu nennen – in der Regel eine Aktualisierung der obligatorischen „Gefährdungsbeurteilung“ durch den Arbeitgeber erfolgen muss. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick zu den rechtlichen Grundlagen und zu der (aktuellen) Risikoeinstufung.
1. Verpflichtung des Arbeitsgebers zur individuellen Gefährdungsbeurteilung
Nach § 3 Abs. 1 Arbeitsschutzgesetz („ArbSchG“) und der berufsgenossenschaftlichen Regelungen in der DGUV-Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“ ist jeder Arbeitgeber dazu verpflichtet, für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten am Arbeitsplatz zu sorgen und diese zu verbessern. Die rechtliche Verantwortung für die Beurteilung liegt dabei beim Arbeitgeber, der die Gefährdungsbeurteilung selbst durchführen oder von zuverlässigen und fachkundigen Personen durchführen lassen muss. Das wohl wichtigste Mittel zur Umsetzung dieser Verpflichtung ist dabei die sogenannte „Gefährdungsbeurteilung“, durch die der Arbeitgeber bestehende Gefahren für die Beschäftigten ermitteln und Maßnahmen für deren effektive Bekämpfung festlegen muss.
2. Gefährdungsbeurteilung mit Blick auf das Coronavirus
a) Gefährdungsbeurteilung im Anwendungsbereich der BioStoffV
Konkrete Vorgaben zur Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit einer besonderen Exposition von „biologischen Arbeitsstoffen“ finden sich insoweit in der Biostoffverordnung („BioStoffV“). Die zum Schutz von Arbeitnehmern bei Tätigkeiten mit „biologischen Arbeitsstoffen“ erlassene Verordnung. verfolgt ebenfalls den Zweck des Arbeitsschutzes und ist von solchen Arbeitgebern zu beachten, deren Mitarbeiter tätigkeitsbedingt mit biologischen Arbeitsstoffen in Kontakt kommen. Voraussetzung der Anwendung der BioStoffV ist, dass die berufliche Tätigkeit entweder auf die Arbeit mit Biostoffen ausgerichtet ist (insbesondere Labore, Einrichtungen des Gesundheitsdienstes etc.) oder dass es gerade wegen der beruflichen Tätigkeit zum Kontakt mit solchen Stoffen kommt. Insbesondere Letzteres zieht den Anwendungsbereich durchaus weit, so dass die BioStoffV unter anderem auch in den Bereichen der
zu beachten ist.
aa) Coronavirus in Risikogruppe 3 nach BioStoffV eingestuft
Da die Gefährdungen je nach Arbeitsstoff unterschiedlich ausfallen, erfolgt eine Einteilung der Arbeitsstoffe in Risikogruppen. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sowie der Ausschuss für Biologische Arbeitsstoffe („ABAS“) beschäftigten sich mit dem Arbeitsschutz und mit möglichen Risiken durch entsprechende Infektionserreger am Arbeitsplatz.
Der ABAS hat das Coronavirus auf Grundlage der vorhandenen epidemiologischen Daten (und aufgrund der Vergleichbarkeit von SARS-CoV-1 mit dem MERS-Cov) mit Beschluss vom 19.02.2020 aus präventiver Sicht vorläufig in die Risikogruppe 3 im Sinne von § 3 Abs. 1. Nr. 3 BioStoffV eingestuft:
„Risikogruppe 3: Biostoffe, die eine schwere Krankheit beim Menschen hervorrufen und eine ernste Gefahr für Beschäftigte darstellen können; die Gefahr einer Verbreitung in der Bevölkerung kann bestehen, doch ist normalerweise eine wirksame Vorbeugung oder Behandlung möglich.“
bb) „Schutzstufenzuordnung“ für Katalogtätigkeiten
Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung muss der Arbeitgeber ermitteln, welche Gefährdung der Beschäftigten von den Biostoffen ausgeht. Die BioStoffV regelt dabei für Tätigkeiten in Laboratorien, in der Versuchstierhaltung, in der Biotechnologie sowie in Einrichtungen des Gesundheitsdienstes, dass diese den jeweiligen Tätigkeiten auch eine Schutzstufe zuordnen müssen (vgl. § 5 und § 7 Abs. 1 Nr. 3 BioStoffV). Erster Schritt für die Festlegung der Schutzstufe ist dabei die Feststellung, ob es sich um gezielte Tätigkeiten oder nicht gezielte Tätigkeiten handelt:
Auf Basis der Schutzstufenzuordnung sind individuelle Schutzmaßnahmen zu ermitteln und sodann auch im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu bewerten (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 4 BioStoffV). Der ABAS hat in seinem Beschluss für gezielte Tätigkeiten mit dem Coronavirus bis auf Weiteres die Schutzstufe 3 festgelegt, so dass Arbeitgeber neben den §§ 8 ff. BioStoffV auch die Vorgaben für Schutzstufe 3 aus Anhang II bzw. III BioStoffV einhalten müssen. Nach Auffassung des ABAS ist für nicht gezielte Tätigkeiten (z. B. Laboruntersuchung auf Erkrankungen) Schutzstufe 2 grundsätzlich ausreichend, so dass Arbeitgeber neben den §§ 8 ff. BioStoffV zusätzlich „nur“ die Vorgaben für Schutzstufe 2 aus Anhang II bzw. III BioStoffV einhalten müssen.
cc) Beurteilung von Tätigkeiten ohne Schutzstufenzuordnung
Arbeitgeber, die keine Schutzstufenzuordnung vornehmen müssen (also Unternehmen aus der Abwasser- und Abfallwirtschaft, Reinigungs- und Sanierungsarbeiten etc.), müssen jeweils anhand der Gesamtumstände des Einzelfalls und insbesondere unter Berücksichtigung der konkreten Tätigkeiten der Beschäftigten (z.B. Art der Tätigkeit, mögliche Übertragungswege, zu erwartende Expositionssituation) die Gefährdung ihrer Mitarbeiter durch das Coronavrius beurteilen und entsprechende Schutzmaßnahmen bewerten (vgl. zum Vorgehen bei der Gefährdungsbeurteilung § 4 Abs. 3 und 4 BioStoffV).
b) Arbeitgeber, die nicht unter die BioStoffV fallen
Arbeitgeber, deren Beschäftigte nicht arbeitsbedingt mit biologischen Arbeitsstoffen umgehen (klassische Bürotätigkeiten beispielsweise), müssen im Rahmen der „allgemeinen“ Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG die potentiellen Gefahren des Coronavirus für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten am Arbeitsplatz beurteilen. Aus den Gefährdungen muss der Arbeitgeber Schutzmaßnahmen für seine Beschäftigten ableiten und umsetzen (etwa die Abtrennung der Arbeitsbereiche oder die Beschränkung der Mitarbeiterzahl; persönliche Schutzausrüstung). Hinweise zu einzelnen Maßnahmen finden sich u.a. in dem Beschluss 609 des ABAS „Arbeitsschutz beim Auftreten einer nicht ausreichend impfpräventablen humanen Influenza“, der derzeit analog auch in der Coronaprävention Anwendung findet.
3. Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung unerlässlich!
§ 3 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG sieht vor, dass Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung auf ihre Wirksamkeit zu „überprüfen“ und „erforderlichenfalls“ sich ändernden Gegebenheiten anzupassen haben. § 4 Abs. 2 Nr. 1 BioStoffV geht – für den Anwendungsbereich der BioStoffV – indes noch einen Schritt weiter und fordert die „unverzügliche Aktualisierung“ der Gefährdungsbeurteilung, wenn maßgebliche Veränderungen der Arbeitsbedingungen oder neue Informationen dies erfordern. Nach beiden Vorschriften steht indessen gleichermaßen fest: Der explosionsartige Ausbruch der Corona-Pandemie fordert von allen Arbeitgebern ein (schnelles) Handeln und eine zeitnahe Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung!
Schließlich sollte auch die Dokumentation der überarbeiten Gefährdungsbeurteilung nicht vergessen werden (vgl. § 6 Abs. 1 ArbSchG bzw. § 7 BioStoffV).
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit der Gefährdungsbeurteilung und deren Aktualisierung oder anderen arbeitsschutzrechtlichen Themen aufgrund des Coronavirus? Sprechen [oder mailen] Sie uns gerne an!