Gleich mehrfach wurde der BGH in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit der Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen bzw. sich anschließenden Netzherausgabeklagen zur Entscheidung angerufen. Auch seine neueste Entscheidung vom 28.01.2020 hält insoweit wieder Spannendes bereit.
In den letzten Jahren hatte sich der BGH in mehreren Entscheidungen mit Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Vergabe von Konzessionen für Strom- und Gasverteilnetze der allgemeinen Versorgung bzw. sich anschließenden Klagen auf Herausgabe des jeweiligen Netzes auseinanderzusetzen. So hat er in seinen Grundsatzurteilen vom 17.12.2013 (KZR 65/12 – Stromnetz Heiligenhafen, abrufbar unter folgendem Link, sowie KZR 66/12 – Stromnetz Berkenthin, abrufbar unter folgendem Link) etwa die Möglichkeit von Inhouse-Vergaben von Strom- und Gaskonzessionen abgelehnt und die Verpflichtung der Kommunen zur Durchführung eines transparenten und diskriminierungsfreien Vergabeverfahren betont. Ferner hat er darin die Pflicht zur rechtzeitigen Mitteilung von vorrangig an den Zielen des § 1 Abs. 1 EnWG ausgerichteten Zuschlagskriterien und deren Gewichtung „begründet“ sowie die Obliegenheit von Kommunen zur Versendung von Vorabinformationsschreiben in Analogie zu § 101a GWB a. F. (nunmehr § 134 GWB) zwecks Präklusionsbegründung hergeleitet. Des Weiteren hat sich der BGH in seinem Urteil vom 14.04.2015 (EnZR 11/14 – Gasnetz Springe, abrufbar unter folgendem Link) zum Umfang des Herausgabeanspruchs im Hinblick auf sogenannte „wirtschaftliche Netzdaten“ geäußert. Diverse Aspekte aus diesen stets wegweisenden Entscheidungen hat der Gesetzgeber in der Folge kodifiziert, zuletzt mit der umfassenden Novellierung der §§ 46 ff. EnWG zum 03.02.2017.
Nunmehr hat sich der BGH in seinem Urteil vom 28.01.2020 (EnZR 116/18 – Stromnetz Steinbach, abrufbar unter folgendem Link) wieder mit einer in die Zeit vor der letzten Novellierung fallenden Stromkonzessionsvergabe befasst und ist dabei – auch unter Rückgriff auf erst seit der Novellierung geltende Bestimmungen – zu durchaus beachtlichen Ergebnissen gelangt, die wir Ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten wollen…
Was war passiert?
Die Beklagte war Konzessionärin und Eigentümerin des örtlichen Stromverteilnetzes der Stadt. Die Stadt schrieb die Neuvergabe des auslaufenden Stromkonzessionsvertrages aus. Die Beklagte und die Klägerin reichten auf die entsprechende Auftragsbekanntmachung hin zunächst eine Interessenbekundung ein und gaben fristgerecht Angebote ab.
Die Stadt beschloss im Oktober 2013, den neuen Konzessionsvertrag mit der Klägerin zu schließen, und gab dies im März 2014 im Bundesanzeiger bekannt. In der Bekanntmachung wurde lediglich mitgeteilt, die Bewertung anhand der zugrunde gelegten Zuschlagskriterien gemäß § 1 Abs. 1 EnWG habe ergeben, dass die Klägerin das günstigste Angebot abgegeben habe.
Daraufhin äußerste die Beklagte gegenüber der Stadt Bedenken hinsichtlich der Bewertung und teilte mit, dass auf dieser Grundlage kein wirksamer Konzessionsvertrag mit der Klägerin geschlossen werden könne und dementsprechend ein Anspruch auf Netzübernahme nicht bestehe.
Eine Woche später teilte die Stadt der Beklagten mit, dass sie beabsichtige, den Stromkonzessionsvertrag rund einen Monat später mit der Klägerin zu schließen und verwies zur Begründung auf den Inhalt der Bekanntmachung. Eine Auswertungsmatrix wurde nicht übersandt.
Im Juli 2014 wurde der Stromkonzessionsvertrag zwischen der Stadt und der Klägerin geschlossen.
Anschließend verlangte die Klägerin von der Beklagten Herausgabe und Übereignung der Stromverteilungsanlagen im Stadtgebiet Zug um Zug gegen Zahlung der (näher bezifferten) wirtschaftlich angemessenen Vergütung.
Das LG Frankfurt am Main wies die entsprechende Klage ab. Die Berufung der Klägerin zum OLG Frankfurt am Main blieb erfolglos. Dagegen wendete sich die Klägerin mit ihrer zugelassenen Revision zum BGH.
Mit Etappen-Erfolg!
Entscheidung des BGH: Die Sache wird an das OLG Frankfurt am Main zurückverwiesen, weil sich aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht ergibt, dass es an einem wirksamen Konzessionsvertrag als Voraussetzung für den Übereignungsanspruch fehlt!
Als markbeherrschender Anbieter der Wegenutzungsrechte in ihrem Gebiet sei die Stadt verpflichtet, den Konzessionär für den Betrieb des Stromverteilnetzes in einem transparenten und diskriminierungsfreien Wettbewerb auszuwählen. Dafür müsse sie den interessierten Unternehmen die Entscheidungskriterien samt Gewichtung rechtzeitig vor Angebotsabgabe mitteilen und die Auswahlentscheidung allein nach sachlichen Kriterien treffen, die vorrangig an den Zielen des § 1 Abs. 1 EnWG auszurichten seien. Die Kriterien seien dabei – wie im „allgemeinen“ Vergaberecht – so auszulegen und zu handhaben, wie sie von den am Netzbetrieb interessierten Unternehmen zu verstehen gewesen seien.
Anders als das Berufungsgericht annehme, leide die Konzessionsvergabe durch die Stadt nach den getroffenen Feststellungen nicht daran, dass die Bieter den Ausschreibungsunterlagen die für die Angebotswertung maßgeblichen Kriterien und ihr jeweiliges Gewicht nicht hätten entnehmen können. Denn bei mehreren Kriterien sei aus objektiver Sicht eines verständigen Bieters eine qualitative Bewertung zu erwarten, aufgrund derer – etwa anhand von Erfüllungsgraden – unterschiedliche Punktzahlen vergeben und Angebote besser oder schlechter hätten beurteilt werden können. Unerheblich sei hingegen, ob die Stadt – wie sie als Streithelferin der Klägerin im Rechtsstreit vorgetragen hatte – nur die Erfüllung oder Nichterfüllung des jeweiligen Kriteriums im Sinne der Vollständigkeit der Angaben habe prüfen wollen. Denn dass eine solche – im Zweifel überdies sachwidrige – Angebotswertung erfolgen sollte, hätten die Bieter den Ausschreibungsunterlagen nicht entnehmen können.
Aus den getroffen Feststellungen ergebe sich auch nicht, dass der Konzessionsvertrag aus anderen Gründen nichtig sei. Zwar leide die Konzessionsvergabe nach den Feststellungen an dem Mangel, dass sich die Stadt bei der Wertung in unzulässiger Weise nicht an die festgelegten, eine qualitative Bewertung erfordernden Kriterien gehalten habe. Allerdings habe das Berufungsgericht nicht festgestellt, dass die Konzessionsvergabe auf dem entsprechenden Verfahrensfehler beruhe oder beruhen könne.
Ferner erweise sich das Berufungsurteil auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig. Entgegen der Ansicht des Berufungsgericht scheide eine Präklusion nicht deshalb aus, weil sich die Beklagte als Altkonzessionärin auch dann auf die Fehlerhaftigkeit der Neuvergabe berufen könne, wenn sie es unterlassen habe, ihr mögliche Schritte zur Verhinderung einer rechtswidrigen Konzessionsvergabe zu unternehmen. Denn es bestehe kein Anlass, den Altkonzessionär nach Unterrichtung über die beabsichtigte Auswahlentscheidung beim Rechtsschutz gegenüber sonstigen Bietern zu privilegieren. Im Sinne der Gleichbehandlung sowie im Interesse der Rechtssicherheit und einer wirksamen Möglichkeit zur Neuvergabe der Konzession in einem wettbewerblichen Verfahren könne und müsse die fortdauernde Behinderung durch einen fehlerhaft abgeschlossenen Konzessionsvertrag von jedem Bieter hingenommen werden, der ausreichend Gelegenheit gehabt habe, seine Rechte zu wahren, diese Möglichkeit aber nicht genutzt habe. Dieses Verständnis stehe im Einklang mit der im Streitfall noch nicht anwendbaren Bestimmung des § 47 EnWG zu den Rügeobliegenheiten beteiligter Unternehmen, die ebenfalls nicht zwischen Altkonzessionär und anderen Bietern unterscheide.
Abschließend teilt der BGH zwei interessante Punkte mit, die das Berufungsgericht bei der erneuten Verhandlung zu berücksichtigen haben wird:
Erstens habe das Berufungsgericht der Beklagten Gelegenheit zu geben, zu der geltend gemachten Fehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung zugunsten der Klägerin weiter vorzutragen. Soweit die Beklagte nicht über nähere Kenntnisse der Bewertung verfüge, sei zu erwägen, der Stadt – als Streithelferin der Klägerin – die Vorlage des Vergabevermerks bzw. der Bewertungsunterlagen aufzugeben.
Zweitens komme eine Rügepräklusion nicht in Betracht, wenn das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass die Konzessionsvergabe auf einer zulasten der Beklagten fehlerhaften Angebotswertung beruhe oder dies zumindest nicht ausgeschlossen sei. Denn hinsichtlich einer Rüge, die Stadt habe sich nicht an die von ihr selbst festgelegte qualitative Bewertung der Angebote gehalten, habe die Beklagte keine ausreichende Gelegenheit gehabt, ihre Rechte zu wahren. Insbesondere lasse sich eine ausreichende Gelegenheit eines Bieters zur Rechtewahrung jedenfalls für die vor dem 03.02.2017 geltende Rechtslage nicht mit der Erwägung begründen, diese hätte sich mit einem Antrag auf Akteneinsicht weitere Informationen und damit die Möglichkeit zu weiteren Rügen verschaffen können.
Fazit
Die Entscheidung des BGH betont nicht nur unter Rückbezug auf die eingangs skizzierten Senatsentscheidungen die Verpflichtung der Kommune zur Durchführung eines transparenten und diskriminierungsfreien Vergabeverfahrens unter rechtzeitiger Mitteilung der vorrangig an den Zielen des § 1 Abs. 1 EnWG ausgerichteten Zuschlagskriterien samt deren Gewichtung und stellt den Abschluss eines wirksamen Konzessionsvertrages als Voraussetzung für den Übereignungsanspruch nach § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG heraus.
Vielmehr stellt der Senat unter Berufung auf das „allgemeine“ Vergaberecht klar, dass es hinsichtlich der Beurteilung der mitgeteilten Zuschlagskriterien auf den objektiven Empfängerhorizont eines verständigen Bieters ankomme.
Auch arbeitet der BGH nochmals heraus, dass allein das Vorliegen eines Mangels des Konzessionsvergabeverfahrens für die Nichtigkeit des Konzessionsvertrages nicht ausreicht, sondern darüber hinaus die Feststellung erforderlich ist, dass die Konzessionsvergabe auf dem entsprechenden Verfahrensfehler beruht oder beruhen kann.
Interessant ist vor allem, dass der BGH den Altkonzessionär im Hinblick auf den Eintritt von Präklusion mit sonstigen Bietern gleichstellt und eine Präklusion dann eintritt, wenn er die ausreichende Gelegenheit zur Rechtewahrung nicht genutzt hat. Insoweit verweist der BGH auch zu recht auf die nunmehr vorhandene Bestimmung des § 47 EnWG, die die am Vergabeverfahren „beteiligten Unternehmen“ hinsichtlich der Rügeobliegenheit in Bezug nimmt und dabei gerade nicht zwischen Altkonzessionär und anderen Bietern differenziert.
Hier schließt sich allerdings – gerade auch bei Geltung des § 47 EnWG – die Frage an, ob der Altkonzessionär als Adressat des Netzübertragungsanspruchs des (vermeintlichen) Neukonzessionärs auch präkludiert ist, wenn er am vorherigen Vergabeverfahren nicht teilgenommen hat. Dies ist nicht nur dann denkbar, wenn er an der Neuvergabe der Konzession nicht interessiert ist, sondern vor allem auch dann, wenn sich ein verbundenes Unternehmen, welches nicht identisch mit dem Netzeigentümer bzw. Altkonzessionsinhaber ist, auf die Konzession bewirbt.
Richtigerweise hat der BGH – vorgreiflich für den Fall, dass es darauf ankommt – bereits klargestellt, dass eine Präklusion der Beklagten hinsichtlich der fehlerhaften Angebotswertung nicht in Betracht kommt, weil diese – auch mangels Akteneinsichtsmöglichkeit – keine Gelegenheit zur entsprechenden Rechtswahrung hatte.
Unter dem Strich handelt es sich beim jüngsten Urteil des BGH zum Thema Stromkonzessionsvergabe nicht um den nächsten „großen Wurf“. Nichtsdestotrotz hat der BGH die sich ihm bietende Gelegenheit genutzt, um viele Aspekte unter Bezugnahme auf vorherige Rechtsprechung und unter Einbeziehung der Rechtslage nach Novellierung der §§ 46 ff. EnWG zum 03.02.2017 nochmals zu bekräftigen.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit der Vergabe von Konzessionsverträgen, insbesondere auch im Strom-, Gas- und Wasserbereich? Wir beraten Sie gerne!