Mit Urteil vom 25.06.2019 (Az. 9 AZR 546/17) hat das BAG seine neue Rechtsprechung verfestigt, wonach ein Verfall von Ansprüchen auf Urlaub grundsätzlich nur dann eintritt, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist.
Sachverhalt
Die Parteien des Rechtsstreits hatten im Arbeitsvertrag unter anderem vereinbart, dass der Arbeitnehmer 30 Urlaubstage pro Kalenderjahr erhält und der Zeitpunkt des jeweiligen Urlaubsantritts mit den betrieblichen Notwendigkeiten abzustimmen ist. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anfang 2016 begehrt der Arbeitnehmer gerichtlich die Abgeltung von Urlaubstagen aus den Jahren 2012 bis 2015.
Entscheidung des Gerichts
Das BAG hat das klageabweisende Urteil der Vorinstanz aufgehoben und die Sache an das LAG Berlin-Brandenburg zurückverwiesen. Es müssten Feststellungen darüber getroffen werden, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen sei, deren Erfüllung für den Eintritt eines Verfalls von Urlaubsansprüchen erforderlich sei. Dies gelte vorliegend auch für den arbeitsvertraglichen, den gesetzlichen Urlaubsanspruch von 20 Urlaubstagen übersteigenden Zusatzurlaub von weiteren 10 Urlaubstagen.
Kontext der Entscheidung
§ 7 Abs. 3 BUrlG bestimmt für den gesetzlichen Mindesturlaub, dass der Urlaub „im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen“ werden muss, sofern dem nicht ausnahmsweise dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe entgegenstehen (Übertragungstatbestand). Liegt ein Übertragungstatbestand vor, so ist der übertragende Resturlaubsanspruch bis spätestens zum 31.03. des Folgejahres in Anspruch zu nehmen.
Das BAG hat diese Vorschrift bis in das Jahr 2018 (vgl. nur Urt. v. 19.06.2018 – 9 AZR 615/17) entsprechend ihrem Wortlaut so ausgelegt, dass am Ende des Kalenderjahres bzw. eines einschlägigen Übertragungszeitraumes nicht beantragter Urlaub ohne jegliches Zutun des Arbeitgebers „automatisch“ verfällt.
Mit Urteil vom 06.11.2018 (Az.: C-684/16) hat der EuGH entschieden, dass der so verstandene § 7 Abs. 3 BUrlG nicht mit der Arbeitszeitrichtlinie vereinbar sei. Der Arbeitgeber müsse seine Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzen, den Urlaubsanspruch in Anspruch zu nehmen, und aktiv hierauf hinwirken.
Das BAG hat daraufhin in mehreren Entscheidungen vom 19.02.2019 (vgl. nur 9 AZR 423/16, Rz.21 ff., Juris) seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben und entschieden, dass den Arbeitgeber in richtlinienkonformer Auslegung des § 7 BUrlG die Initiativlast bei der Verwirklichung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs trifft und erst die Erfüllung der daraus abgeleiteten Mitwirkungsobliegenheiten zu einer Befristung des Urlaubsanspruchs zum Ende des Kalenderjahres bzw. eines Übertragungszeitraumes nach § 7 Abs. 3 BUrlG führt. Ein Verfall des gesetzlichen Urlaubanspruchs kann nach der neuen Rechtsprechung des BAG daher erst eintreten, wenn der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür gesorgt hat, dass der Arbeitnehmer in der Lage ist, seinen Urlaub zu nehmen. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer – ggf. förmlich – dazu auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass dieser ansonsten verfällt.
Diese Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung des BAG auch für den tariflichen (vgl. Urt. v. 19.02.2019 – 9 AZR 541/15, Rz.34 ff., Juris) sowie für den arbeitsvertraglichen (vgl. Urt. v. 19.02.2019 – 9 AZR 321/16, Rz.51 ff., Juris) Zusatzurlaub, sofern keine deutlichen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass für diesen Zusatzurlaub etwas anderes gelten soll als für den gesetzlichen Mindesturlaub.
Im vorliegenden Fall hat das BAG eine abweichende Regelung für den vertraglichen Zusatzurlaub verneint, weil die getroffene Bestimmung im Arbeitsvertrag zwar die Urlaubsdauer und den Zeitpunkt des Urlaubsantritts regelte, jedoch keine Bestimmung zur Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers bei der Erfüllung des Urlaubsanspruchs vorsah.
Praxishinweise
Dem BAG zufolge ist der Arbeitgeber in der Auswahl der Mittel, derer er sich zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten bedient, grundsätzlich frei. Verlangt wird jedoch eine „konkrete“ Mitteilung des Arbeitgebers in „völliger Transparenz“. Hieraus lässt sich ableiten, dass abstrakte Hinweise im Arbeitsvertrag oder einer Kollektivvereinbarung nicht ausreichen. Unzureichend sind auch generelle Hinweise, die sich an die gesamte Belegschaft oder eine Mehrheit von Arbeitnehmern richten, etwa mittels Merkblatt, Aushang oder Rund-Email.
Ausreichend wäre demgegenüber eine Mitteilung an den einzelnen Arbeitnehmer, aus der hervorgeht, wie hoch der aktuell noch bestehende Urlaubsanspruch ist, verbunden mit der Aufforderung, diesen bis zum Ende des Urlaubsjahres in Anspruch zu nehmen, wobei – auch hierauf muss deutlich hingewiesen werden – nicht genommene Urlaubstage am Ende des Kalenderjahres verfallen, sofern nicht ausnahmsweise ein Übertragungstatbestand einschlägig ist. In zeitlicher Hinsicht bietet es sich an, diese Mitteilung direkt zu Beginn eines Kalenderjahres vorzunehmen (so BAG v. 19.02.2019 – 9 AZR 423/16, Juris). In der Mitteilung könnte dann zum einen dargelegt werden, in welchem Umfang der Arbeitnehmer (ausnahmsweise) noch über einen Resturlaubsanspruch aus dem Vorjahr verfügt, verbunden mit dem Hinweis, dass dieser bis zum 31.03. des laufenden Jahres in Anspruch zu nehmen ist, da er anderenfalls verfällt. Zugleich sollte der Umfang des Urlaubsanspruchs für das laufende Urlaubsjahr mitgeteilt werden verbunden mit dem Hinweis, dass dieser grundsätzlich bis zum Ende des Kalenderjahres in Anspruch zu nehmen ist, da er anderenfalls – sollte nicht ausnahmsweise ein Übertragungstatbestand einschlägig sein – verfällt.
Die bislang in Arbeitsverträgen verwendeten Klauseln zum Urlaub dürften ganz überwiegend keine Regelungen zu Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers enthalten, da es solche nach der bisherigen Rechtsprechung nicht gab. Dies bedeutet, dass die nunmehr von der Rechtsprechung aufgestellten Mitwirkungsobliegenheiten grundsätzlich den gesamten Urlaubsanspruch erfassen. Beim Abschluss zukünftiger Arbeitsverträge bietet es sich an, klar darauf hinzuweisen, dass die von der Rechtsprechung aufgestellten Mitwirkungsobliegenheiten nicht für den vertraglichen Zusatzurlaub gelten sollen.
Fragen hierzu? Fragen Sie uns!