Für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes müssen im Betrieb des Arbeitgebers mehr als 10 Arbeitnehmer in der Regel beschäftigt sein (§ 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG). Nach Ansicht des BAG können bei der Ermittlung der Betriebsgröße auch im Betrieb eingesetzte Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn ihr Einsatz auf einem „in der Regel“ vorhandenen Personalbedarf beruht.
(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.01.2013 – 2 AZR 140/12)
I. Sachverhalt
Im entschiedenen Fall war der Mitarbeiter seit Juli 2007 bei dem Unternehmen als Hilfskraft angestellt. Das Unternehmen beschäftigt insgesamt zehn Arbeitnehmer. Außerdem waren zum Zeitpunkt der Kündigung Leiharbeitnehmer in dem Unternehmen tätig. Im November 2009 kündigte das Unternehmen das Arbeitsverhältnis des Mitarbeiters mit ordentlicher Kündigungsfrist. Im Kündigungsrechtsstreit vertrat der Mitarbeiter die Auffassung, dass das Kündigungsschutzgesetz in seinem Fall anwendbar sei. Neben den zehn eigenen Arbeitnehmern würde das Unternehmen regelmäßig Leiharbeitnehmer beschäftigen. Auch diese seien daher bei der Ermittlung der Beschäftigtenzahl zu berücksichtigen.
Arbeitsgericht und LAG wiesen die Klage ab.
II. Entscheidung und rechtlicher Rahmen
Das Kündigungsschutzgesetz gilt nach § 23 Abs. 1 Satz 3 für nach dem 31. Dezember 2003 eingestellte Arbeitnehmer nur in Betrieben, in denen in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden. Wird diese Anzahl unterschritten, handelt es sich um einen so genannten „Kleinbetrieb“, auf dessen Arbeitsverhältnisse das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet. Dies bedeutet, dass das Unternehmen die Arbeitsverhältnisse auch ohne einen Grund nach § 1 Abs. 2 KSchG (verhaltens-, personen- oder betriebsbedingt) kündigen kann. Nach bisheriger allgemeiner Meinung und der Rechtsprechung mehrerer Landesarbeitsgerichte zählten Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der Betriebsgröße des Entleiher-Betriebes nicht mit. Abgestellt wurde dabei auf das Arbeitsverhältnis des Leiharbeitnehmers, welches zum Verleiher und nicht zum Entleiher besteht.
Das BAG entschied nun anders. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen sei nicht von vornherein ausgeschlossen, dass das Kündigungsschutzgesetz im Streitfall Anwendung findet und die Kündigung des Klägers daher einer sozialen Rechtfertigung bedurfte.
Obwohl im Entleiher-Betrieb eingesetzte Leiharbeitnehmer in keinem Arbeitsverhältnis zum Entleiher stehen, sind sie dennoch bei der Berechnung der Betriebsgröße zu berücksichtigen, wenn ihr Einsatz auf einem „in der Regel“ vorhandenen Personalbedarf beruht. Das BAG begründet dies mit einer an Sinn und Zweck orientierten Auslegung der Kleinbetriebsklausel. Kleinbetriebe sind aus dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes herausgenommen, da hier häufig eng und persönlich zusammengearbeitet wird, zumeist eine vergleichsweise geringe Finanzausstattung besteht und der mit einem Kündigungsschutzprozess verbundene Verwaltungsaufwand den Inhaber kleinerer Betriebe typischerweise stärker belastet. Vor diesem Hintergrund ist es nicht gerechtfertigt, bei der Ermittlung der Betriebsgröße danach zu unterscheiden, ob die den Betrieb kennzeichnende regelmäßige Personalstärke auf dem Einsatz eigener oder entliehener Arbeitnehmer beruht.
Es kommt daher darauf an, ob die im Unternehmen eingesetzten Leiharbeitnehmer aufgrund eines regelmäßigen oder eines für den Betrieb „in der Regel“ nicht kennzeichnenden Geschäftsanfalls beschäftigt waren. Sind sie wegen eines regelmäßigen Geschäftsanfalls beschäftigt, müssen sie im Rahmen des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG bei der Zahl der „in der Regel“ beschäftigten Arbeitnehmer berücksichtigt werden.
Das BAG hob die Vorentscheidungen auf und verwies die Sache an das LAG zurück, damit dieses weitere Feststellungen dazu treffen kann, ob die im Kündigungszeitpunkt im Betrieb tätigen Leiharbeitnehmer aufgrund eines regelmäßigen oder eines für den Betrieb „in der Regel“ nicht kennzeichnenden Geschäftsanfalls beschäftigt waren.
III. Folgen für die Praxis
Das BAG bricht mit der nahezu einhelligen Meinung und der Rechtsprechung mehrerer Landesarbeitsgerichte. Das führt dazu, dass nun wesentlich mehr Betriebe unter den Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes fallen.
In der Rechtsprechung ist eine Tendenz erkennbar, Leiharbeitnehmer bei arbeitsrechtlichen Schwellenwerten zu berücksichtigen. So hatte das BAG zum Schwellenwert zur Auslösung der Mitbestimmungsrechte bei Betriebsänderungen nach § 111 BetrVG entschieden, dass Leiharbeitnehmer mitzählen, die länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt werden (BAG vom 18.10.2011 – 1 AZR 336/10).