Eine schwierige Beziehung – Vergabe- und Beihilferecht gehen aufeinander zu
Dass hier noch viele Harmonisierungsbemühungen erforderlich sind, zeigte unter anderem der Tagungsbeitrag von Professor Dr. Hermann Pünder, LL.M. zum „Vergaberecht und europäisches Beihilferecht im Bereich Infrastruktur“. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in den Fällen „Ferring“ (NVwZ 2002, S. 193) sowie „Altmark Trans“ (NZBau 2003, S. 503) konzentriert sich die Diskussion derzeit auf die Frage, inwieweit die Vergabe eines öffentlichen Auftrags selbst als eine von Art. 87 Abs. 1 EGV im Grundsatz verbotene Beihilfe anzusehen ist. Hier gilt: Der Zuschlag ist dann keine Beihilfe, wenn das Entgelt für den konkreten Auftrag angemessen ist. Erfolgt die Auftragsvergabe nach öffentlicher Ausschreibung, lässt sich die Angemessenheit des Entgelts schon durch den Vergleich der unterschiedlichen Angebote bewerten. Ein förmliches Vergabeverfahren schafft also beihilferechtlich eine gewisse Rechtssicherheit: Was das Vorliegen einer beihilferelevanten Begünstigung angeht, bewirkt die Ausschreibung des Auftrags im Ergebnis eine Art Beweislastumkehr. Von einer beihilferechtlich begründeten Pflicht zur Ausschreibung kann aber derzeit noch nicht ausgegangen werden. Immerhin hat die Europäische Kommission etwa für den Verkauf von Immobilien Kriterien aufgestellt, die denen einer öffentlichen Ausschreibung sehr nahe kommen. Pünder wies zudem darauf hin, dass auch die Berücksichtigung sogenannter beschaffungsfremder Kriterien beihilferechtlich durchaus problematisch ist.
Folgt der Begünstigung durch Beihilfen der Ausschluss im Vergabeverfahren?
Reibungspunkte zwischen Beihilfe- und Vergaberecht entstehen auch dann, wenn ein durch eine Beihilfe (gleich welcher Art) Begünstigter später an einem Vergabeverfahren teilnimmt. Pünder hielt hierzu zunächst fest, dass von den Mitbewerbern diejenigen Wettbewerbsvorteile hinzunehmen seien, die sich aufgrund von Beihilfen ergäben, die der Kommission – wie es das Beihilferecht vorsieht – notifiziert und von ihr genehmigt worden seien. Hierfür spreche schon der vergaberechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz. Das eigentliche Problem stellte sich aber bei rechtwidrigen Beihilfen. Angebote, die aufgrund einer staatlichen Beihilfe ungewöhnlich niedrig sind, dürfen nach Auffassung Pünders ausgeschlossen werden. Nach Pünder kann die Pflicht zum Ausschluss derartiger Angebote von Mitbietern sogar im Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden. Hat ein Bieter dagegen ein Angebot vorgelegt, das nicht unangemessen niedrig ist, ist dies grundsätzlich nicht auszuschließen. Dies gilt nach Pünder auch dann, wenn dem Bieter eine rechtswidrige Beihilfe dazu verholfen hat, ein günstigeres Angebot als seine Mitbewerber abzugeben. Die Einbeziehung derartiger Bieter, deren Kalkulation in der Gefahr steht, durch Rückforderungen zu Unrecht erhaltener Fördermittel nicht für die Dauer der Vertragslaufzeit stabil zu sein, kann aber zu einer Ungleichbehandlung der Bieter führen, deren Kalkulation nicht von Rückforderungsansprüchen bedroht ist.
Vergaberecht und Verkehrsleistungen für Straße und Schiene – viele Fragen offen
„Neue Formen der Straßenbaufinanzierung und Vergaberecht“ lautete der zweite Beitrag des Vergaberechtstages. Rechtsanwalt Dr. Jan Byok, LL.M. hätte auch das Beihilferecht im Titel seines Vortrages erwähnen können. Die Anschubfinanzierung zur Erfüllung der Gemeinwohlaufgabe „Straßenbau“ ist nämlich unter den Vorgaben beider Rechtsgebiete kritisch zu beurteilen. Vergaberechtlich entsteht zum Beispiel die Frage, ob es sich bei den verschiedenen Finanzierungsformen (A.Modell, F-Modell, LKW-Maut) um Konzessionen handelt. Die vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte Expertenkommission neigt wohl der Auffassung zu, es handele sich um eine Baukonzession. Darüber hinaus ist vor allem die Frage bedeutsam, welches Vergabeverfahren bei den verschiedenen Modellen der Straßenbaufinanzierung anzuwenden ist. Byok tendierte zum Verhandlungsverfahren, die anwesende Vertreterin der Europäischen Kommission wies dagegen in einer ersten Reaktion auf die äußerst restriktive Haltung des Europäischen Gerichtshofs zur Durchführung von Verhandlungsverfahren hin. Vergaberechtlich sind hier noch viele Fragen offen.
Rechtsanwalt Dr. Hans-Joachim Prieß, LL.M. befasste sich mit „Neue(n) Rechtsgrundlagen für die Auftragsvergabe im SPNV.“ Im Zentrum stand hier die neugeschaffene Vorschrift des § 4 Abs. 3 VgV. Mit dieser Neuregelung wollte der Gesetzgeber einen Beitrag zur Harmonisierung des umstrittenen Verhältnisses zwischen Vergabe- und Eisenbahnrecht schaffen. Prieß behandelte, soweit im Rahmen des Vortrags möglich, alle von der Vorschrift aufgeworfenen, zahlreichen rechtlichen Fragestellungen und befürwortete im Ergebnis die neue Regelung. Er tat dies auch unter dem Gesichtspunkt, dass jedenfalls derzeit kein wirklich relevanter Wettbewerb im Bereich des Schienenpersonennahverkehrs herrsche, was einige Teilnehmer zum Anlass nahmen, eben deshalb auf die wettbewerbliche Fragwürdigkeit der Neuregelung hinzuweisen.
Sanktioniert das Vergaberecht, was das Gemeindewirtschaftsrecht verbietet?
Anlässlich der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf in seinen Beschlüssen vom 12.01.2000 („awista“) und 17.06.2002 („Kommunalverband Ruhrgebiet“) nahm Professor Dr. Martin Burgi sich in seinem Vortrag „Kommunale Infrastrukturverantwortung zwischen Gemeindeordnung und Vergaberecht“ das Verhältnis zwischen Vergaberecht und kommunalem Wirtschaftsrecht näher vor. Während das Oberlandesgericht Düsseldorf das Vergaberecht auch als Sanktions- und Rechtsschutzinstrument begriffen habe, sei das europäische Primärrecht hinsichtlich des „ob“ einer kommunalen Wirtschaftsbetätigung neutral, weshalb es – so Burgi – auch keine Aussagen über diesbezügliche Sanktions- und Rechtsschutzinstrumente enthalte. Dies gelte in gleichem Maße für das nationale Vergaberecht. Die vergaberechtliche Prüfung habe sich gemäß § 97 Abs. 7 GWB nämlich auf die „Bestimmungen in einem Vergabeverfahren“ bzw. nach § 104 Abs. 2 Satz 1 GWB auf „Handlungen in einem Vergabeverfahren“ zu beschränken. Im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens könnten daher weder kommunalverfassungsrechtliche noch beihilferechtliche Vorschriften geprüft werden, sondern lediglich Rechtsnormen in Bezug auf den konkreten, ausgeschriebenen Auftrag - und kommunalverfassungsrechtliche Vorschriften wie beispielsweise die §§ 107 ff. GO NW zählen eben nicht zu diesem Kreis.
Europarechtlich aufgeladen: Spannungen zwischen Abfallrecht und Vergaberecht
Das Spannungsverhältnis zwischen Abfallrecht und Vergaberecht manifestierte sich in dem abschließenden Vortrag vom Vorsitzenden Richter am OLG a.D. Wolfgang Jaeger „Die vergaberechtliche Beurteilung von Public private partnerships in der Entsorgungsinfrastruktur“ an drei Punkten: Zunächst bei den sogenannten PPP-Modellen in der Entsorgungsinfrastruktur. Jaeger vertrat die Auffassung, ein „Inhouse-Geschäft“ sei „allenfalls“ bis zu einer Beteiligung des privaten Mitgesellschafters in Höhe von 9,99 % anzunehmen. Die anwesende Vertreterin der Europäischen Kommission äußerte insoweit, dass sowohl die Kommission als auch der Europäische Gerichtshof eine derart strenge Ansicht wohl teilen würden. Als zweiten „Knotenpunkt“ von Abfall- und Vergaberecht unterzog Jaeger die unterschiedlichen Möglichkeiten der Einbeziehung privater Dritter in die Erfüllung von Entsorgungsaufgaben einer näheren vergaberechtlichen Betrachtung. Anders als die Drittbeauftragung nach § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG unterfalle die Pflichtenübertragung nach § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG nicht dem Vergaberecht. Eine derartige Pflichtenübertragung stelle nach Auffassung Jaegers nämlich einen Verwaltungsakt und damit keinen öffentlichen Auftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB dar. Zum anderen handele es sich insoweit nach der maßgebenden EuGH-Entscheidung „Tele Austria (NZBau 2001, S. 248) in der Regel nur um eine vergaberechtsfreie Dienstleistungskonzession. Angesichts des vom EuGH vertretenen funktionalen Auftragsbegriffs gibt es entgegen Jaegers Auffassung aber bereits erste Stimmen in der Literatur, die auch die Pflichtenübertragung nach § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG als vergaberechtspflichtig ansehen. Auch hier zeigt sich der umfassende Herrschaftsanspruch des Vergaberechts.
Schaffen Abfallwirtschaftspläne ausschreibungsfreie Räume?
Dies gilt im übrigen auch für das Verhältnis des Vergaberechts zu einem anderen abfallwirtschaftlichen Instrument: Jaeger führte aus, dass nach § 29 Abs. 1 KrW-/AbfG aufgestellte verbindliche Abfallwirtschaftspläne nicht zu einem vergaberechtsfreien Ausnahmebereich im Sinne des § 100 Abs. 2 g) GWB führten. Auch verbindliche Abfallwirtschaftspläne könnten nicht zu einem jederzeitigen Vorrang des Abfallrechts vor dem Vergaberecht führen. Das europarechtlich aufgeladene Verhältnis beider Normkomplexe ist auch nach Jaegers Auffassung vielmehr in dem Sinne aufzulösen, dass beiden Rechtsbereichen größtmögliche Wirksamkeit zukommt. Wenn ein Abfallwirtschaftsplan eine verbindliche Anlagenzuweisung enthält und an der zugewiesenen Anlage keine frei verfügbaren Kapazitäten mehr bestehen, so dass für die Vergabe entsprechender Entsorgungsleistungen letztlich nur der Anlagenbetreiber in Betracht kommt, habe – so Jaeger unter Verweis auf eine entsprechende Entscheidung des OLG Düsseldorf - zunächst das Ver-gaberecht hinter dem verbindlich geltenden Abfallrecht zurückzutreten. Dem aus Teilnehmerkreisen vorgebrachten Vorschlag, das OLG Düsseldorf hätte diese Frage auch dem Europäischen Gerichtshof vorlegen können, zeigte sich Jaeger sehr aufgeschlossen gegenüber.
Knappes Resümee des 4. Düsseldorfer Vergaberechtstages: Das Verhältnis des Verga-berechts zu anderen Rechtsgebieten ist längst noch nicht „entspannt“ – und: auf den Eu-ropäischen Gerichtshof als den das Vergaberecht maßgeblich prägenden Akteur wird noch viel an Harmonisierungsarbeit zukommen.