Im Zeitalter der eVergabe enthalten Bewerbungsbedingungen (folgerichtig) standardmäßig die Festlegung, dass jedwede Kommunikation im Rahmen des Vergabeverfahrens ausschließlich über die zum Einsatz kommende Vergabeplattform abgewickelt werden soll. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der Auftraggeber von dieser Vorgabe im Verfahrensverlauf abrücken und etwa auf eine Kommunikation via E-Mail wechseln kann. Dazu hat sich nunmehr die VK Sachsen in ihrem Beschluss vom 14.04.2023 (1/SVK/003-23, Leitsätze abrufbar unter folgendem Link) geäußert.
Was war passiert?
Die Auftraggeberin schrieb die Vergabe von Server- und Speichertechnik im Rahmen eines nicht offenen Verfahrens nach der VgV europaweit aus. In den Bewerbungsbedingungen war vorgegeben, dass die Kommunikation mit den am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen ausschließlich über die Vergabeplattform erfolgen werde.
Nach Eingang der Angebote forderte die Auftraggeberin die spätere Beigeladene mit einem per E-Mail am 24.10.2023 versandten Schreiben zur Nachreichung von Unterlagen und zur Aufklärung konkreter Fragen unter Fristsetzung bis zum 04.11.2022, 12:00 Uhr, auf. Mit E-Mail vom 08.11.2023 teilt der E-Mail-Empfänger auf Seiten der Beigeladene gegenüber der Auftraggeberin mit, dass es ihm aufgrund von Krankheit nicht möglich gewesen sei, die Nachricht fristgerecht zu lesen, und bat für die Nachreichung und Rückmeldung um Fristverlängerung bis zum 11.11.2022. Nachdem die Auftraggeberin die Verlängerung der Frist zunächst am 09.11.2023 verwehrte, wandte sich die Beigeladene am 10.11.2023 abermals per E-Mail an die Auftraggeberin, reichte die Unterlagen nach, beantwortete die Aufklärungsfragen und wies zugleich darauf hin, dass sie davon ausgegangen sei, dass Rückfragen über die Vergabeplattform erfolgen würden, wie es im Rahmen der Ausschreibung üblich gewesen sei. Erst daraufhin erklärte die Auftraggeberin, dass sie die erhaltenen Informationen der Beigeladenen „kulanterweise“ berücksichtigen werden.
Nachdem die spätere Antragstellerin mittels Vorabinformationsschreibens darüber informiert worden war, dass der Zuschlag auf das Angebot der späteren Beigeladenen beabsichtigt sei, rügte sie gegenüber der Auftraggeberin diverse Vergaberechtsverstöße. Die Auftraggeberin half den Rügen nicht ab. Daraufhin verfolgte die Antragstellerin ihre Rügen mit einem Vergabenachprüfungsantrag bei der VK Sachsen weiter.
Nachdem der Antragstellerin im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens Akteneinsicht gewährt worden war, beanstandete sie über ihren bisherigen Rügevortrag hinaus, dass sich aus der Akteneinsicht ergebe, dass die Nachreichung mindestens einer fehlenden leistungsbezogenen Unterlage durch die Beigeladene nicht innerhalb der dafür durch die Auftraggeberin gesetzten Nachreichungsfrist erfolgt sei, sodass das Angebot der Beigeladenen zwingend vom Vergabeverfahren auszuschließen sei.
Ohne Erfolg!
Entscheidung der VK Sachsen: Das Angebot der Beigeladenen war nicht wegen verspäteter Antwort auf ein Nachforderungs- und Aufklärungsschreiben von der Wertung auszuschließen.
Zunächst hält die VK Sachsen fest, dass, wenn ein Bewerber oder Bieter die nachgeforderten Unterlagen nicht innerhalb der vom öffentlichen Auftraggeber gesetzten (angemessenen) Nachfrist nachreiche, sein Angebot nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV zwingend auszuschließen sei. Die Setzung einer weiteren Nachfrist oder gar der (nachträgliche) Verzicht auf die Vorlage der geforderten Erklärungen und Nachweise verstieße in dieser Konstellation gegen die Grundsätze der Verfahrenstransparenz und der Gleichbehandlung der Bieter.
Voraussetzung für eine wirksame Nachforderung der Unterlagen unter Fristsetzung sei es gewesen, dass das Nachforderungsschreiben der Auftraggeberin vom 24.10.2022 bei der Beigeladenen so in deren Machtbereich hätte gelangen müssen, dass sie unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit gehabt hätte, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen.
Davon sei jedoch im zu entscheidenden Fall nicht auszugehen. Denn in den Bewerbungsbedingungen sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Kommunikation mit den am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen ausschließlich über die Vergabeplattform erfolge. Mit diesen Bewerbungsbedingungen sei im Wege der Selbstbindung klargestellt worden, dass im Vergabeverfahren die Kommunikation ausschließlich über die Vergabeplattform erfolgen werde. Daran habe sich die Auftraggeberin gehalten, indem sie beispielsweise zuvor sämtliche Bieterfragen und -antworten ausschließlich über die Vergabeplattform abgewickelt habe. Eine nachträgliche, stillschweigende Änderung dieser Selbstbindung sei ausgeschlossen gewesen.
Hinzu komme, dass die Auftraggeberin mit Versendung des Nachforderungsschreibens vom 24.10.2022 die Nachricht erhalten habe, dass die Zustellung an den Empfänger abgeschlossen sei, aber vom Zielserver keine Zustellbenachrichtigung gesendet worden sei. Dies habe bereits Zweifel an der erfolgreichen Zustellung des Nachforderungsschreibens wecken müssen, ebenso wie der Fakt, dass von Seiten der Beigeladenen nicht, wie explizit gefordert, eine umgehende Bestätigung des vollständigen Erhalts des Nachforderungsschreibens per E-Mail eingegangen sei.
Im Ergebnis sei es der Auftraggeberin nach Treu und Glauben verwehrt gewesen, sich auf den Zugang des Nachforderungsschreibens vom 24.10.2022 zu berufen. Zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und dem jeweiligen Bieter komme spätestens ab dem Zeitpunkt der Angebotsabgabe ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis zustande, das zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichte und auf beiden Seiten Sorgfaltspflichten begründe. Diese verlangten gemäß § 241 Abs. 2 BGB die Rücksichtnahme auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Dieser Verpflichtung widerspreche die Handlungsweise der Auftraggeberin, soweit sie zum einen vom angekündigten Kommunikationsweg abgewichen sei und zum anderen Indizien für den fehlgeschlagenen Zugang respektive die Abwesenheit des Ansprechpartners der Beigeladenen ignoriert habe. So widerspreche es den Rücksichtnahmepflichten aus dem vertragsähnlichen Vertrauensverhältnis, wenn anstelle einer mit wenig Mühen verbundenen nochmaligen ordnungsgemäßen Versendung der Information über die Vergabeplattform oder zumindest der Nachfrage nach dem Erhalt der E-Mail nichts weiter unternommen werde, selbst dann nicht, wenn die gesetzte Nachforderungsfrist fruchtlos abgelaufen sei, ohne dass man irgendeine Reaktion von der Beigeladenen erhalten habe.
Unter diesen Umständen sei es treuwidrig, sich auf den formalen Zugang des Nachforderungsschreibens zu berufen. Eine Frist zur Beantwortung sei mithin nicht wirksam ausgelöst worden. Soweit die Beigeladene sodann mit E-Mail vom 10.11.2022 sämtliche Fragen beantwortet und Unterlagen nachgereicht habe, sei sie Ihrer Aufklärungs- und Mitwirkungspflicht vollumfänglich nachgekommen.
Vor diesem Hintergrund sei die Entscheidung der Auftraggeberin, das Angebot der Beigeladenen in der Wertung zu belassen, nicht zu beanstanden.
Fazit und rechtliche Einordnung
Aus der Entscheidung der VK Sachsen folgt, dass sich der Auftraggeber bei einer Klarstellung in den Bewerbungsbedingungen, dass im Vergabeverfahren die Kommunikation mit den am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen ausschließlich über die Vergabeplattform erfolgen soll, hieran im Wege einer Selbstbindung festhalten lassen muss. Eine nachträgliche, stillschweigende Änderung dieser Selbstbindung, beispielsweise durch Versendung eines fristgebundenen Nachforderungsschreibens per E-Mail, ist dann ausgeschlossen.
Allerdings ist gleichzeitig zu berücksichtigen, dass nicht alle Vergabenachprüfungsinstanzen eine ausschließliche Kommunikation über das Vergabeportal überhaupt zulassen möchten. So hat insbesondere die Vergabekammer München wiederholt – zuletzt mit Beschl. v. 23.5.2023 (Az. 3194.Z3-3 01-22-63) – Zweifel daran geäußert, dass Bietern rechtserhebliche Erklärungen wirksam über das Vergabeportal zugestellt werden können. Aufforderungen zur Angebotsabgabe, Aufklärungs- und/oder Nachforderungsverlangen sowie Vorabinformationen nach § 134 GWB sollen nach der Vergabekammer München (wenigstens auch) auf anderem Wege an die Bieter übermittelt werden, eben etwa per E-Mail oder per Fax.
Auftraggeber tun also gut daran, ihre Bewerbungsbedingungen so zu gestalten, dass eindeutig ist, welche Korrespondenz ausschließlich über das Vergabeportal erfolgt (dies betrifft in der Regel insbesondere Bieterfragen und -antworten) und welche Korrespondenz auch auf anderem Wege erfolgen kann. Nützlich ist außerdem ein klarer Hinweis an die Bieter, dass diese sich mit der Registrierung auf der Vergabeplattform gegenüber dem Auftraggeber verpflichten, das Nachrichtenpostfach des Vergabeportals für den Empfang rechtserheblicher Erklärungen in dem betreffenden Vergabeverfahren zu nutzen, und dass etwaige abweichende Mittei-lungen/Informationen des Portalbetreibers unerheblich sind.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit der Gestaltung von Bewerbungsbedingungen und/oder der Nachforderung von Unterlagen in einem Vergabeverfahren? Wir beraten Sie gerne!