Eine für alle Beteiligten missliche Situation: Am Ende einer langen Ausschreibungsphase liegen zwar mehrere Angebote vor, aber keines ist zuschlagsfähig, etwa weil bieterseits Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen oder (wesentliche) Preisangaben von den Bietern nicht eingetragen wurden. Mit Blick darauf, dass eine Nachforderung nicht in Betracht kommt und möglicherweise auch noch identische oder gleichartige Fehler in den Angeboten vorliegen, könnte man als Auftraggeber geneigt sein, über die Fehler hinwegzusehen und trotzdem den Zuschlag zu erteilen, um die Ausschreibung zu retten. Diese Erwägung liegt umso näher, wenn die Fehler voraussichtlich durch die Gestaltung der Vergabeunterlagen oder deren mehrfache Änderung im Laufe des Verfahrens provoziert wurden. Von diesem Gedanken sollte der Auftraggeber jedoch Abstand nehmen. Dies hat die VK Sachsen-Anhalt in ihrem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 04.12.2018 (2 VK LSA 19/17, abrufbar unter folgendem Link) nochmals ausdrücklich herausgestellt.
Was war passiert?
Die Auftraggeberin und spätere Antragsgegnerin schrieb in einem offenen Verfahren eine Rahmenvereinbarung zur Einführung von Car-Sharing mit einem Wirtschaftsteilnehmer europaweit aus.
Zwei Bieter, die spätere Antragstellerin und die spätere Beigeladene, gaben ein Angebot ab.
Die Antragstellerin erklärte in ihrem Angebot eigenmächtig, dass sie bei einer Schwankung der Kraftstoffpreise eine Preisanpassung durchführen werde und dass außerdem nachträglich die Nutzungszeit der Fahrzeuge in Abstimmung mit der Antragsgegnerin neu festgelegt werden könne, wenn die tatsächliche monatliche Nutzung der Fahrzeuge über einen längeren Zeitraum signifikant geringer ausfalle als ursprünglich prognostiziert.
Die Beigeladene wiederum erklärte im Angebotsschreiben, dass sie einen Preisnachlass im Angebot berücksichtigt habe, allerdings fügte sie die für diesen Fall auftraggeberseits geforderte Anlage mit näheren Angaben, insbesondere der prozentualen Nachlasshöhe, nicht bei.
Dennoch entschied sich die Auftraggeberin dazu, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen und teilte dies der Antragstellerin mit.
Nach erfolgloser Rüge diverser Vergabeverstöße beantragte die Antragstellerin bei der VK Sachsen-Anhalt die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.
Entscheidung der VK Sachsen-Anhalt: Der Auftraggeber darf keinen Auftrag erteilen, wenn kein zuschlagsfähiges Angebot vorliegt!
Nach der VK Sachsen-Anhalt kommt eine Erteilung des Auftrags nicht Betracht. Der Antragsgegnerin liege kein zuschlagsfähiges Angebot vor.
Die Antragstellerin habe Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen, da ihre Zusätze hinsichtlich der Anpassung der Kraftstoffpreise und der Abstimmung der Nutzungszeit bei geringerer Fahrzeugnutzung in den Vergabeunterlagen nicht vorgesehen seien.
Das Angebot der Beigeladenen sei dagegen nicht vollständig. Zum einen enthalte es nicht alle geforderten Unterlagen. Zum anderen beinhalte es nicht alle wesentlichen Preisangaben, da die Angabe zur prozentualen Höhe des gewährten Preisnachlasses fehle.
Nach der VK Sachsen-Anhalt darf die Antragsgegnerin beide Angebote nicht berücksichtigen. In diesem Zusammenhang komme es auch nicht darauf an, ob die Angebotsmängel identisch oder gleichartig seien. Es reiche aus, wenn die Mängel zwingend zum Ausschluss führten, was vorliegend – auch mangels einer zulässigen Nachforderungsmöglichkeit – bei beiden Bietern der Fall sei.
Fazit und Praxishinweise
Aus der Entscheidung der VK Sachsen-Anhalt ergibt sich für Auftraggeber ganz klar: Sind alle Angebote nicht zuschlagsfähig und scheidet eine Heilung der Mängel aufgrund der Unzulässigkeit einer Nachforderung bzw. Aufklärung aus, darf der Auftraggeber auf Grundlage dieser Angebote keinen Zuschlag erteilen.
In einem solchen Fall ist es am Auftraggeber, die Mängel transparent und diskriminierungsfrei gegenüber allen Bietern zu beheben, sofern er am Beschaffungsvorhaben festhalten möchte. Insoweit kommt neben einer Aufhebung und anschließender Neuausschreibung – gegebenenfalls über ein Verhandlungsverfahren mit oder ohne Teilnahmewettbewerb – möglicherweise auch der Weg über eine Aufforderung zur erneuten Angebotsabgabe auf Grundlage der (ggf. anzupassenden) Vergabeunterlagen gegenüber allen Bietern in Betracht.
An die Bieter gerichtet folgt aus der Entscheidung der VK Sachsen-Anhalt der Appell, die Vergabeunterlagen gründlich zu lesen und im Angebot sowie im Angebotsanschreiben auf abweichende Zusätze zu verzichten. Denn auch unter Berücksichtigung der neueren (eher bieterfreundlichen) Rechtsprechung des BGH zur Aufklärungspflicht des Auftraggebers bei von den Ausschreibungsunterlagen geringfügig abweichenden Angeboten (BGH, Urteil vom 18.06.2019 – X ZR 86/17, abrufbar unter folgendem Link) sind Zusätze und Leerstellen in Angeboten immer noch äußerst risikobehaftet. Sollten Unklarheiten im Hinblick auf die Angebotserstellung bestehen, sollte der Bieter daher frühzeitig Fragen oder gegebenenfalls Rügen an den Auftraggeber richten. Von eigenmächtigen „Modifizierungen“ der Vergabeunterlagen ist in jedem Fall abzuraten.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit der rechtssicheren Erstellung bzw. der Prüfung und Wertung von Angeboten? Wir beraten Sie gerne!