Angelehnt an einen Hit von Herbert Grönemeyer stellt sich im Zusammenhang mit Vergabeverfahren nicht selten die Frage: Wann ist eine Frage eine Frage? Und wann ist eine Rüge eine Rüge? Und gleichermaßen: Wann ist eine Antwort eine Antwort und wann eine Nichtabhilfemitteilung? Mit diesen Fragen hat sich zuletzt die VK Bund in ihrem Beschluss vom 28.05.2020 (VK 1-34/20, abrufbar unter folgendem Link) auseinandergesetzt und dabei ihr Ergebnis in lehrbuchmäßiger Art und Weise hergeleitet. Das wollen wir Ihnen natürlich nicht vorenthalten…
Was war passiert?
Die Auftraggeberin schrieb Instandhaltungsleistungen europaweit aus. In der Angebotsaufforderung stellte die Auftraggeberin hinsichtlich des beigefügten Vertrags ausdrücklich klar, dass dessen Regelungen nicht verhandelbar seien. Von den zahlreichen Bieterfragen zum ausgeschriebenen Vertrag lauteten eine hier beispielhaft zitierte Zuschrift der Antragstellerin und die Reaktion der Auftraggeberin darauf wörtlich wie folgt:
Bieter:
„In Ihrer Ausschreibung fordern Sie eine Versicherung als Teil des Angebotspreises und somit als Teil des Wettbewerbsverfahrens. Mit Verweis auf andere öffentliche Ausschreibungsverfahren über Reparaturleistungen möchten wir unsere Auffassung zu diesem Thema dahingehend konkretisieren, dass wir den Wettbewerb um Kernleistungen des Vergabeverfahrens kritisch gestört sehen. Die Angebotsposition Versicherungsleistung ist, wie in den anderen Ausschreibungsverfahren, zu neutralisieren, indem die Kosten für die Versicherung nicht in den Preiswettbewerb einbezogen werden. Wie stellt sich die Auftraggeberin im Wettbewerbsverfahren verantwortlich zu dieser Problematik?“
Auftraggeberin:
„Die Vorgaben zur Reparaturhaftpflichtversicherung sind mit dem Vergaberecht vereinbar. Eine Wettbewerbsverzerrung aufgrund der Vorgaben zum Versicherungsschutz ist nicht erkennbar. Die Kosten, die von den Bietern eingepreist und von der Auftraggeberin getragen werden, können bei der Angebotswertung nicht unberücksichtigt bleiben.“
Die Antragstellerin und die Beigeladene gaben ein Angebot ab. Nach Erhalt des Vorabinformationsschreibens rügte die Antragstellerin im Wesentlichen die zuvor im Rahmen der Fragen angebrachten Aspekte. Nachdem die Auftraggeberin den Rügen nicht abhalf, beantragte die Antragstellerin bei der VK Bund die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.
Ohne Erfolg!
Entscheidung der VK Bund: Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig! Denn die gestellten „Fragen“ sind Rügen und bei Einreichung des Nachprüfungsantrags waren mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der „Antworten“, mit denen die Auftraggeberin den Rügen nicht abhalf, vergangen!
Für die Frage, ob es sich um Rügen oder um Bieterfragen handelt, kommt es nach Ansicht der VK Bund nicht darauf an, wie die Antragstellerin selbst ihr Schreiben verstanden wissen wollte. Ob ein konkretes Bieterverhalten eine Rüge im Sinne des § 160 Abs. 3 GWB darstelle, sei von den Vergabenachprüfungsinstanzen objektiv zu beurteilen und stehe nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten. Anderenfalls könne ein Bieter mit dem Argument, bisher habe er nur Fragen gestellt, aber keine Rüge erhoben, mit einer „echten" Rüge zuwarten, ob er den Zuschlag erhalte oder nicht. Ein solches „Taktieren" mit einer Rüge sei gesetzgeberisch jedoch nicht gewollt. Denn die Rüge solle dem Auftraggeber frühzeitig Gelegenheit geben, ein vergaberechtswidriges Verhalten zu erkennen und dieses gegebenenfalls zu beseitigen, um das Vergabeverfahren möglichst rasch und ohne zeit- und kostenaufwändige Nachprüfungsverfahren zum Abschluss zu bringen.
Der erforderliche Inhalt einer ordnungsgemäßen Rüge ergebe sich aus diesem Zweck. Eine ordnungsgemäße Rüge setze daher nicht nur voraus, dass die Tatsachen, auf die die Beanstandung gestützt würden, so konkret wie für die Nachvollziehbarkeit nötig benannt würden, sondern auch, dass aus der Rüge deutlich werde, dass es sich hierbei um einen Vergaberechtsverstoß handele, dessen Abhilfe begehrt werde. Um das Erheben einer Rüge und damit den Rechtsschutz nicht unangemessen zu erschweren, seien die Anforderungen an deren Inhalt und die Form dabei gering. Erforderlich, aber auch ausreichend für eine ordnungsgemäße Rüge sei es, dass der Bieter den beanstandeten Sachverhalt nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht durchdrungen habe, also aufgrund einer Parallelwertung in seiner Laiensphäre etwas nicht nur als für ihn nachteilig empfinde, sondern auch für rechtswidrig halte.
Unter diesen Prämissen, so die VK Bund weiter, habe die Antragstellerin sämtliche im Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Vergaberechtsverstöße bereits mit ihrem ersten Schreiben gerügt. So führt sie zur vorliegend beispielhaft zitierten Eingabe aus, dass die Antragstellerin trotz der Frage am Ende („Wie stellt sich die Auftraggeberin (...) zu dieser Problematik?“) insoweit hinsichtlich der Wertung der Reparaturhaftpflichtversicherung einen konkreten Sachverhalt als rechtsfehlerhaft beanstande („wir [...] sehen [...] den Wettbewerb um Kernleistungen des Vergabefahrens kritisch gestört") und von der Auftraggeberin verlange, diesen Vergaberechtsverstoß durch sogar konkret vorgeschlagene Maßnahmen zu beseitigen („die Angebotsposition Versicherungsleistung ist […] zu neutralisieren indem die Kosten für die Versicherung nicht in den Preiswettbewerb einbezogen werden.“).
Bei den Antworten, die die Auftraggeberin auf die Ausführungen der Antragstellerin gegeben habe, handele es sich, so die VK Bund weiter, um Nichtabhilfemitteilungen im Sinne des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB. Der Wortlaut des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB gebe keine besonderen Anforderungen an Form und Inhalt einer Nichtabhilfemitteilung vor. Bezugnehmend auf den Zweck einer Rüge, den öffentlichen Auftraggeber auf etwaige Vergabefehler hinzuweisen und ihm so Gelegenheit zu geben, diese Fehler frühzeitig zu beseitigen, liege eine Nichtabhilfemitteilung dann vor, wenn die Vergabestelle in ihrer Antwort auf eine Rüge eindeutig zum Ausdruck bringe, dass sie die Rüge als unzutreffend abtue und ihr endgültig nicht abhelfe. Es komme mithin darauf an, dass ein Auftraggeber auf die Rüge überhaupt reagiere und dass sich seiner Reaktion entnehmen lasse, dass er die Rüge nicht zum Anlass nehme, den beanstandeten Sachverhalt einer Korrektur zu unterziehen. Insoweit reiche es aus, wenn ein Auftraggeber zu einzelnen Rügen konkret Stellung nehme und mit seiner Stellungnahme keine Änderungen der Vergabeunterlagen in Aussicht stelle. Denn bereits dann sei einem Bieter unmissverständlich klar, dass er sein Angebot auf unveränderter Grundlage abzugeben habe, weil der Auftraggeber seinen Beanstandungen trotz ausdrücklicher Würdigung nicht nachgekommen sei.
Unter diesen Prämissen, so die VK Bund weiter, habe die Auftraggeberin auf sämtliche Rügen der Antragstellerin mit Nichtabhilfen reagiert. So habe sie in der beispielhaft zitierten Rückmeldung ausgeführt: „Die Vorgaben zur Reparaturhaftpflichtversicherung sind mit dem Vergaberecht vereinbar. [...] Eine Wettbewerbsverzerrung aufgrund der Vorgaben zum Versicherungsschutz ist nicht erkennbar. [...] Die Kosten, die von den Bietern eingepreist und [von der Auftraggeberin] getragen werden, können bei der Angebotswertung nicht unberücksichtigt bleiben." Damit verdeutliche die Auftraggeberin, dass sie der Auffassung der Antragstellerin nicht folge und der Rüge nicht abhelfen werde.
Fazit und Praxishinweise
Auf Grundlage der Entscheidung der VK Bund bleibt zunächst festzuhalten, dass eine Rüge dann vorliegt, wenn zum Ausdruck kommt, dass der Bieter den beanstandeten Sachverhalt nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht durchdrungen hat, also aufgrund einer Parallelwertung in seiner Laiensphäre etwas nicht nur als für ihn nachteilig empfindet, sondern auch für rechtswidrig hält.
Eine Nichtabhilfe liegt bereits dann vor, wenn ein Auftraggeber zu einzelnen Rügen konkret Stellung nimmt und mit seiner Stellungnahme keine Änderungen der Vergabeunterlagen in Aussicht stellt.
Spätestens nach der Entscheidung der VK Bund ist bei Bietern daher äußerste Vorsicht geboten. Denn die scheinbar harmlose, abschlägige Antwort auf vom Bieter als bloße Fragen verstandene (und ggf. sogar so bezeichnete) Eingaben an den Auftraggeber können die 15-Tages-Frist zur Stellung des Nachprüfungsantrags nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB auslösen. Lässt er diese tatenlos verstreichen, ist ihm später die Berufung auf die entsprechenden Aspekte verwehrt.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit Bieterfragen oder Rügen? Wir beraten Sie gerne!