Im Zuge der Novellierung der §§ 46 ff. EnWG zum 03.02.2017 hat der Gesetzgeber für Strom- und Gaskonzessionierungsverfahren in § 47 EnWG eine Regelung zur Rügeobliegenheit und zur Präklusion aufgenommen. Hilft die Gemeinde der Rüge nicht ab, so hat sie das rügende Unternehmen gemäß § 47 Abs. 4 EnWG hierüber in Textform zu informieren und ihre Entscheidung zu begründen. Nach § 47 Abs. 5 Satz 1 EnWG können beteiligte Unternehmen gerügte Rechtsverletzungen, denen die Gemeinde nicht abhilft, nur binnen 15 Kalendertagen ab Zugang der Nichtabhilfe vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die bislang ungeklärte Frage, ob die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes zwingend eine Nichtabhilfe-Mitteilung in Textform voraussetzt oder ob die Nichtabhilfe auch durch schlüssiges Verhalten, etwa der Verfahrensfortführung ohne Reaktion auf die gerügten Aspekte, erfolgen kann. Im Falle des zweitgenannten Verständnisses wären betroffene Unternehmen nicht nur berechtigt, Rechtsschutz zu suchen, sondern müssten vielmehr binnen 15 Tagen vor die ordentlichen Gerichte ziehen, um eine Präklusion mit den konkludent zurückgewiesenen Rügen zu verhindern.
Nunmehr bringt das Urteil des LG Mannheim vom 29.01.2020 (14 O 194/19 Kart, Leitsätze abrufbar unter folgendem Link) insoweit Licht ins Dunkle. Diese interessante Entscheidung wollen wir Ihnen natürlich nicht vorenthalten…
Was war passiert?
Die Klägerin, ein Energieversorgungsunternehmen, war Bestandskonzessionärin des Gasversorgungsnetzes der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet der Beklagten.
Die Beklagte führte ein Gaskonzessionierungsverfahren durch und forderte unter anderem die Klägerin nach vorangegangenem Interessenbekundungsverfahren zur Angebotsabgabe auf Grundlage der zugleich zur Verfügung gestellten Vergabeunterlagen auf. Die Vergabeunterlagen veranlassten die Klägerin, fristgerecht insgesamt 31 Rügen zur Verfahrensgestaltung, insbesondere bezüglich der mitgeteilten Auswahlkriterien und deren Gewichtung, zu erheben. Daraufhin setzte die Beklagte das Verfahren bis auf Weiteres aus. Rund einen Monat später stellte die Beklagte neue Vergabeunterlagen bereit. Die Festlegungen der neuen Vergabeunterlagen sollten diejenigen der ursprünglichen Vergabeunterlagen zum Teil ersetzen und zum Teil ergänzen. Darüber hinaus sollten die ursprünglichen Vergabeunterlagen fortgelten.
Mit Schreiben vom 27.11.2019 teilte die Beklagte der Klägerin mit, den überarbeiteten Unterlagen sei zu entnehmen, dass einem Teil der erhobenen Rügen abgeholfen worden sei. Auf die übrigen Rügen werde in einem gesonderten Schreiben eingegangen.
Die Klägerin bat daraufhin die Beklagte mit Schreiben vom 29.11.2019 zum einen um Klarstellung, welchen Rügen der Klägerin abgeholfen worden sei und welchen nicht, und zum anderen um Übermittlung des angekündigten gesonderten Schreibens, jeweils bis spätestens zum 04.12.2019.
Da die Beklagte hierauf nicht reagierte, stellte die Klägerin zur Vermeidung einer Präklusion der Verfahrenseinwände am 12.12.2019 – mithin 15 Tage nach Erhalt des Schreibens der Beklagten – beim LG Mannheim einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit welcher der Beklagten die Fortsetzung des Vergabeverfahrens bis zur Abstellung der ihrerseits vorgebrachten und im Antrag näher bezeichneten Beanstandungen verboten werden sollte.
Ohne Erfolg!
Entscheidung des LG Mannheim: Der Antrag ist unzulässig, weil es an einer textformgebundenen Nichtabhilfe-Mitteilung der Gemeinde fehlt!
Nach dem LG Mannheim ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Fortsetzung des Konzessionsvergabeverfahrens unzulässig. Es fehle an der für den Zugang zur gerichtlichen Überprüfung in diesem Verfahrensstadium unabdingbaren Voraussetzung einer Mitteilung der Gemeinde in Textform, dass sie den gegen die mitgeteilten Auswahlkriterien und deren Gewichtung gerichteten Rügen nicht abhelfe.
§ 47 Abs. 5 EnWG bestimme, dass die an dem Verfahren beteiligten Unternehmen gerügte Rechtsverletzungen, denen die Gemeinde nicht abhelfe, nur innerhalb von 15 Kalendertagen ab Zugang der Information nach § 47 Abs. 4 EnWG vor den ordentlichen Gerichten geltend machen könnten. Nach § 47 Abs. 4 EnWG habe die Gemeinde das rügende Unternehmen in Textform darüber zu informieren und ihre Entscheidung zu begründen, wenn sie der Rüge nicht abhelfe.
Anders als im Vergabenachprüfungsverfahren nach den §§ 160 ff. GWB sei gerichtlicher Rechtsschutz im Vorfeld der Auswahlentscheidung im Konzessionierungsverfahren nach den §§ 46 ff. EnWG nur eröffnet, wenn die Gemeinde in Textform mitgeteilt habe, dass sie Rügen gegen Rechtsverletzungen im Rahmen der Mitteilung über die Auswahlkriterien und deren Gewichtung (§ 46 Abs. 4 Satz 4 i. V. m. § 47 Abs. 2 Satz 2 EnWG) nicht abhelfe. Die textformgebundene Nichtabhilfe-Mitteilung der Gemeinde nach § 47 Abs. 4 EnWG sei eine Voraussetzung nicht nur für den Anlauf der Frist zur gerichtlichen Geltendmachung, sondern darüber hinaus generell für den Zugang zum gerichtlichen Rechtsschutz in diesem Verfahrensstadium.
Dies folge, so das LG Mannheim, aus dem Wortlaut dem systematischen Zusammenhang sowie der Entstehungsgeschichte der betreffenden Norm. Nach dem in den Gesetzesmaterialien explizit zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willen habe der Gemeinde die Möglichkeit eingeräumt werden sollen, über die Nachabhilfe der Rügen gebündelt mit der Mitteilung über die Ablehnung der Angebote (§ 46 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 47 Abs. 2 Satz 3 EnWG) zu informieren. Dadurch habe es die Gemeinde in der Hand haben sollen, eine wiederholte Unterbrechung des Vergabeverfahrens durch Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes zu verhindern und den zulässigen Rechtsschutz auf das Ende des Vergabeverfahrens zu konzentrieren. Solange die Gemeinde nicht durch textformgebundene Nichtabhilfe-Mitteilung über eine Rüge entschieden habe, sei gerichtlicher Rechtsschutz insoweit bis zur Mitteilung der Auswahlentscheidung gesperrt.
Diese Erwägungen schlössen es auch aus, den Zugang zu Gericht bereits bei einer konkludenten oder materiellen Nichtabhilfe zu eröffnen. Denn zum einen sei dies mit der gesetzlich bestimmten Textform unvereinbar. Zum anderen werde das der Gemeinde zukommende Wahlrecht, den gerichtlichen Rechtsschutz auf das Ende des Verfahrens zu konzentrieren, unterlaufen.
Die möglicherweise in der Fortsetzung des Konzessionierungsverfahrens zum Ausdruck kommende innere Entschließung der Gemeinde, den von den Änderungen der Vergabeunterlagen nicht erfassten Rügen nicht abzuhelfen, vermöge die Nichtabhilfe-Mitteilung nicht zu ersetzen; erst recht setze sie nicht die 15-Tage-Frist des § 47 Abs. 5 Satz 1 EnWG in Lauf.
Schlussendlich erleide das rügende Unternehmen durch diese Verfahrensgestaltung keine Nachteile. Habe es die entsprechende Rüge fristgemäß angebracht, bleibe seine Rechtsposition gewahrt. Dies gelte unabhängig von einer etwaig seitens der Gemeinde verlautbarten Rechtsansicht, einzelnen Rügen ganz oder teilweise abgeholfen zu haben. Insbesondere sei auch eine Wiederholung der Rügen, denen angeblich abgeholfen worden sei, zur Wahrung der Rechte nicht erforderlich.
Fazit und Praxishinweise
Auf dogmatisch durchaus stichhaltige Weise leitet das LG Mannheim die Eigenschaft der Nichtabhilfe-Mitteilung als zwingende Voraussetzung für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes im Verfahrensstadium bis zur Mitteilung der Auswahlentscheidung her. Überzeugend erteilt es auch Erwägungen dahingehend, eine lediglich konkludente Nichtabhilfe genügen zu lassen, eine eindeutige Absage. Dies ist insbesondere mit Blick auf den Transparenzgrundsatz sowie auch aus Gründen der Rechtssicherheit begrüßenswert.
Im Kern wird durch die Entscheidung auch die vom Gesetzgeber zweifellos gewollte „Verfahrenshoheit“ der Gemeinde gestärkt. Aber auch wenn die Gemeinde die Möglichkeit hat, über den Zeitpunkt der Versendung der Nichtabhilfe den gerichtlichen Rechtsschutz auf das Ende des Vergabeverfahrens zu verlagern, sollte die Zweckmäßigkeit eines solchen Vorgehens in jedem Falle sorgfältig abgewogen werden. Zum einen droht ein nicht unerheblicher Zeitverlust, sofern etwaige Vergabefehler erst zu einem späten Zeitpunkt im Vergabeverfahren gerichtlich festgestellt werden und eine Zurückversetzung des Verfahrens erforderlich machen sollten. Zum anderen besteht das Risiko, dass Bieter erfolgreich Schadensersatzansprüche für die „nutzlose“ Beteiligung an dem „im Angesicht der Gefahr“ seitens der Gemeinde fortgeführten Verfahren geltend machen.
Jedenfalls nach Maßgabe der Entscheidung des LG Mannheim sind Unternehmen, die auf ihre Rügen hin keine Abhilfe-Mitteilung der Gemeinde erhalten, nicht mehr gezwungen, zur Vermeidung einer Präklusion einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu stellen. Ganz im Gegenteil müssen sie – bis zum Erhalt der Nichtabhilfe-Mitteilung in Textform bzw. der Mitteilung der Auswahlentscheidung – von einem solchen Antrag absehen, wenn sie das Risiko der Kostenlast für einen unzulässigen Antrag vermeiden wollen.
Allerdings ist das Urteil des LG Mannheim zunächst mit Vorsicht zu genießen und es bleibt abzuwarten, ob sich die Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung durchsetzen wird. Bis dahin ist das Kostenrisiko abzuwägen mit dem Risiko einer Rechtsschutzpräklusion.
Haben Sie Fragen im Zusammenhang mit der Vergabe von Strom-, Gas- oder Wasserkonzessionen? Wir beraten Sie gerne!