Das Widerrufsrecht in Verträgen über Sonderanfertigungen
Begriff und Bedeutung des „Haustürgeschäftes“ scheinen heute allgemein bekannt zu sein. Um einen Überrumpelungseffekt zu verhindern, muss Verbrauchern, die einen Kauf oder Werkliefervertrag in Anwesenheit des Verkäufers in ihren privaten Räumen abschließen, ein Recht zum Widerruf des Vertrages eingeräumt werden. Was selbst vielen Unternehmen jedoch immer noch nicht bewusst ist: Die Verpflichtung zur Einräumung des Widerrufsrecht (§ 312 g BGB) gilt nicht nur für Verträge, die in den privaten Räumen des Kunden abgeschlossen werden, sondern für alle Vertragsabschlüsse außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmens (§ 312 b BGB). Das Widerrufsrecht muss zudem auch dann eingeräumt werden, wenn es noch nicht zu einem Vertragsschluss kommt, sondern der Kunde „nur“ ein Angebot zum Vertragsschluss abgibt. Zuletzt liegt ein „Haustürgeschäft“ grundsätzlich auch dann vor, wenn der Kunde den Verkäufer aufgefordert hat, zu einem Verkaufsgespräch ins Haus zu kommen. Erfasst sind heute somit keinesfalls nur die unangekündigten Vertreterbesuche von „Energieberatern“, die den Verbrauchern an der Haustür neue Strom- oder Gasverträge verkaufen, von Vermittlern aus der Mobilfunkbranche oder Verkäufern, die Zeitschriftenabonnements bewerben. Vielmehr unterfallen dem „Haustürgeschäft“ auch solche Vertragsabschlüsse, in denen sich Kunden bereits ausführlich über Produktkataloge oder eine telefonische Beratung über komplexe Produkte informiert haben und den Vertreter zum Vertragsschluss zu sich nach Hause bitten.
Zu solchen Situationen kommt es insbesondere auch dann, wenn es um den Erwerb speziell angefertigter oder angepasster Einrichtungsgegenstände, wie z.B. Küchen, Wohnlandschaften etc. geht, in denen es sinnvoll oder gar notwendig erscheint, dem Verkäufer Einblick in die baulichen Gegebenheiten der eigenen Wohnung zu geben. Wer als Verkäufer in einer solchen Situation vor Ort beim Kunden eine Bestellung entgegennimmt, schließt – nach der Definition des § 312 BGB – ein Haustürgeschäft ab. Er ist verpflichtet, den Kunden korrekt über das Bestehen seines Widerrufsrechts zu belehren und muss damit rechnen, dass der Vertrag innerhalb der Widerrufsfrist „storniert“ wird. Oder ist diese Warnung bei Verträgen, die Sonderanfertigungen betreffen vielleicht völlig unnötig? Schließlich besagt § 312 g BGB, dass ein Widerrufsrecht nicht bei Verträgen
„ zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind“
besteht. Die Regelung scheint eindeutig zu sein. Erfüllt eine Bestellung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Anforderungen an eine solche „Sonderanfertigung“ im Sinne von § 312 g BGB, so steht dem Kunden ausnahmsweise kein Widerrufsrecht zu. Dies sehen jedoch offensichtlich nicht alle Gerichte so. Vielmehr hat z.B. kürzlich das LG ellwangen die Auffassung vertreten, dass „Sonderanfertigungen“ nach § 312 g BGB keinesfalls von vorneherein vom Widerrufsrecht ausgenommen seien. Im Gegenteil: Ein Widerrufsrecht müsse vielmehr mit korrekter Belehrung auch bei Sonderanfertigungen eingeräumt werden. Es erlösche allerdings in dem Moment, in dem der Verkäufer mit der Produktion beginnt. Ganz abgesehen davon, dass diese Auslegung dem Wortlaut von § 312 g BGB, der auf einen bestimmten Vertragstypus und nicht auf den Produktionsfortschritt abstell, widerspricht, wirft die Entscheidung des LG Ellwangen zahlreiche Fragen und Folgeprobleme auf. Was ist unter dem Beginn der Produktion zu verstehen? Liegt ein Produktionsbeginn auch dann vor, wenn z.B. mit der Herstellung von Produktbestandteilen begonnen wird, bei denen es sich um weiterverwendbare „Standardprodukte“, also nicht um unverkäufliche Spezialanfertigungen nach den Vorgaben des Bestellers handelt? Wer trägt die Beweislast für den Produktionsbeginn? Muss der Kunde hierüber in Kenntnis gesetzt werden? Was, wenn der Verkäufer als reines Vertriebsunternehmen ggf. überhaupt keine Detailkenntnis über den Produktionsstand beim Hersteller hat. Wie wird der Kunde korrekt über die Tatsache des späteren Erlöschens des Widerrufsrechts belehrt? Bereits die Vielzahl der aufgeworfenen Fragen lässt Zweifel an der Auslegung des LG Ellwangen aufkommen. Sie ist kaum praktikabel, führt bei beiden Vertragsparteien zu erheblicher Rechtsunsicherheit und steht nicht zuletzt dem Wortlaut von § 312 g BGB entgegen. Es bleibt abzuwarten, wie andere Gerichte – am Ende ggf. sogar der EuGH – in Zukunft über vergleichbare Situationen entscheiden werden.