Auf Vorlage eines italienischen Gerichts hat der EuGH öffentliche Auftraggeber in ihrer Befugnis zum Ausschluss von Bietern wegen einer früheren Schlechtleistung gestärkt. Insoweit hat der EuGH klargestellt, dass eine schwebende Zivilklage betreffend eine Kündigung wegen Schlechtleistung nicht zur Folge haben darf, dass der der Kündigung zugrundeliegende Sachverhalt bei einer neuen Vergabe einstweilen unberücksichtigt bleiben muss (Urteil vom 19.06.2019, Meca, Rs. C-41/18, abrufbar unter folgendem Link). Eine nationale Regelung, die eine derartige Folge einer Klage eines Bieters vorsieht, verstößt nach Auffassung des EuGH gegen Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU.
Was war passiert?
Die Gemeinde Neapel führte eine Ausschreibung für die Durchführung der Schulspeisung für das Schuljahr 2017/2018 durch. Für den ausgeschriebenen Auftrag wurden sodann zwei Angebote abgegeben, wobei ein Angebot von dem Unternehmen Sirio stammte, welches die Schulspeisung bereits zuvor durchgeführt hatte, dessen Vertrag jedoch aufgrund von festgestellten Lebensmittelvergiftungen wegen Schlechtleistung gekündigt worden war. Die von der Gemeinde ausgesprochene Kündigung hatte Sirio anschließend vor den Zivilgerichten angegriffen, was nach einer entsprechenden Regelung in dem italienischen Gesetzbuch über öffentliche Aufträge zur Konsequenz hatte, dass die Schlechtleistung bei der Ausschlussentscheidung in dem laufenden Vergabeverfahren nicht weiter berücksichtigt werden durfte.
Der zweite Bieter, das Unternehmen Meca, war der Auffassung, dass dieser gesetzlich vorgesehene Automatismus gegen die Richtlinie 2014/24/EU verstoße, und klagte daher gegen die Berücksichtigung des Angebotes des konkurrierenden Unternehmens Sirio. Das mit der Streitigkeit befasste italienische Gericht war sich unsicher, ob die italienische Regelung gegen die Richtlinie verstößt, und legte die Frage daher nach Art. 267 AEUV dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.
Entscheidung des EuGH: Befugnis zur Ausschlussentscheidung liegt ausschließlich bei öffentlichen Auftraggebern und nicht bei den mitgliedstaatlichen Gerichten
Der EuGH hat nun explizit die Auffassung des Unternehmens Meca geteilt und die Unionsrechtswidrigkeit der italienischen Regelung festgestellt. Der Wortlaut des Art. 57 Abs. 4 Richtlinie 2014/24/EU, so der Gerichtshof, übertrage den öffentlichen Auftraggebern – und nur diesen – die Aufgabe, die Integrität und Zuverlässigkeit jedes einzelnen Bieters zu beurteilen und diese gegebenenfalls zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von eben diesem auszuschließen. Diese Aufgabe liege allein beim Auftraggeber – und nicht bei den mitgliedstaatlichen Gerichten. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass durch die entsprechende italienische Regelung der Anreiz zur Ergreifung von Abhilfemaßnahmen genommen werde und damit auch der – neu eingeführte – Mechanismus zum Nachweis von sogenannten Selbstreinigungsmaßnahmen (vgl. Art. 57 Abs. 6 Richtlinie 2014/24/EU) konterkariert werde.
Fazit
Der EuGH ist – wenig überraschend – den Schlussanträgen des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona vom 07.03.2019 gefolgt und hat die italienische Regelung „gekippt“.
Rechtstechnisch verdient die Entscheidung des EuGH sicherlich Zustimmung, sowohl aufgrund des (eindeutigen) Wortlauts des Art. 57 Abs. 4 Richtlinie 2014/24/EU als auch aufgrund der Systematik der Regelungen über den Ausschluss von Bietern. Für die Praxis, in der sich die Vertragspartner nicht selten uneins bereits über das Vorliegen einer Schlechtleistung, erst recht aber über die Angemessenheit einer deshalb ergriffenen Sanktionsmaßnahme sind, bietet die Entscheidung jedoch viel Zündstoff. Sind die Bieter nun insoweit tatsächlich ungeschützt der Willkür öffentlicher Auftraggeber ausgeliefert?
So weit ist es sicherlich noch nicht, aber zweifellos sind gutes Fingerspitzengefühl und eine sorgsame strategische Positionierung bei Vorwürfen von Schlechtleistungen im Rahmen laufender öffentlicher Aufträge unverzichtbar! Steht eine etwaige Schlechtleistung bei laufenden öffentlichen Aufträgen im Raum, so sollten Unternehmen – auch wenn sie sich im Recht fühlen und es vielleicht auch sind – auch die Risiken eines zukünftigen Verfahrensausschlusses im Auge behalten.
Im besten Fall können die Unstimmigkeiten ohne Aufgabe der jeweiligen Rechtspositionen einvernehmlich behoben werden, bevor Sanktionen, wie Abmahnungen, Vertragsstrafen oder sogar eine Kündigung, ergriffen werden. Gelingt dies nicht, so sollten die Unternehmen sorgsam abwägen, wie auf die Sanktionen reagiert wird. Dabei ist auch darauf zu achten, dass etwaige Rechtsmittel nicht singulär verfolgt, sondern in Einklang mit einer Gesamtstrategie für den Nachweis der fortbestehenden (oder wieder erlangten) Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit gebracht werden. Ansonsten laufen die Unternehmen nämlich Gefahr, von einem kommenden Verfahren nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ausgeschlossen zu werden, selbst wenn und soweit die (angebliche) Schlechtleistung weiterhin streitig und vielleicht sogar Gegenstand eines Rechtsstreits ist. Zu den Voraussetzungen eines Ausschlusses wird nämlich auch in der deutschen Vergaberechtsprechung – ganz auf einer Linie mit dem EuGH – die Auffassung vertreten, dass die Tatsachen, auf die der öffentliche Auftraggeber seine Ausschlussentscheidung stützt, weder unstreitig noch rechtskräftig festgestellt sein müssen (vgl. aus der jüngeren Rechtsprechung OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2018, Verg 7/18, Rdn. 60 m.w.N., abrufbar unter folgendem Link).
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