Mit Urteil vom 13.12.2023 (Az. 5 AZR 137/23) hat das BAG entschieden, dass der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert sein kann, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang einer Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen.
Sachverhalt
Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis während einer bestehenden – mittels Erstbescheinigung nachgewiesenen – Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer legte anschließend zwei Folgebescheinigungen vor, die den Zeitraum bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses passgenau abdeckten. Der Arbeitgeber sah den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als erschüttert an und verweigerte die Entgeltfortzahlung. Der Arbeitnehmer erhob daraufhin Klage.
Kontext der Entscheidung
Einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich ein hoher Beweiswert zu. Für eine Erschütterung dieses Beweiswertes muss der Arbeitgeber Umstände darlegen und beweisen, die ernsthafte Zweifel an dem Vorliegen der Erkrankung des Arbeitnehmers begründen.
In einem Urteil vom 08.09.2021 (Az. 5 AZR 149/21) hat das BAG klargestellt, dass derartige Umstände angesichts der zeitlichen Koinzidenz zwischen bescheinigter Arbeitsunfähigkeit sowie Beginn und Ende der Kündigungsfrist (insbesondere dann) vorliegen, wenn eine am Tag der Eigenkündigung des Arbeitnehmers ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung passgenau die Zeit der Kündigungsfrist abdeckt. Unklar war zunächst, auf welche weiteren Sachverhaltskonstellationen sich diese Rechtsprechung übertragen lässt. Die Entscheidung vom 13.12.2023 verschafft diesbezüglich nun mehr Klarheit.
Entscheidung des Gerichts
Das BAG hat in dem dargestellten Fall geurteilt, dass es im Hinblick auf die Erschütterung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während der laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, nicht entscheidend ist, ob eine arbeitnehmer- oder arbeitgeberseitige Kündigung ausgesprochen wurde. Es kommt auch nicht darauf an, ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden.
Das Gericht bejahte in der vorliegenden Konstellation die für die ernsthaften Zweifel an der Krankheit entscheidende zeitliche Koinzidenz zwischen der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist, allerdings nur für die Folgebescheinigungen, die eine passgenaue Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende der Kündigungsfrist darstellten. Da der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Erstbescheinigung keine Kenntnis von der (beabsichtigten) Kündigung hatte, war die zeitliche Koinzidenz dagegen insofern nicht gegeben.
Praxishinweise
Ist der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert, trägt der Arbeitnehmer, der den Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitnehmer substantiiert vorträgt und beweist, welche Krankheiten vorgelegen, welche gesundheitlichen Einschränkungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben und welche Verhaltensmaßnahmen oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Die Prozesssituation des Arbeitnehmers verschlechtert sich mithin im Fall der Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung merklich.
Arbeitgeber sollten daher angesichts der dargestellten Entscheidungen des BAG bei Krankmeldungen im Zusammenhang mit Kündigungen wachsam sein und eine Erschütterung des Beweiswerts, die zum Einbehalt der Entgeltfortzahlung für den Krankheitszeitraum berechtigt, anhand der genannten Rechtsprechung prüfen. Dabei spielt die vom BAG angesprochene zeitliche Koinzidenz zwischen Arbeitsunfähigkeit und Kündigungsfrist eine wesentliche Rolle.
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